Katholische Priester dürfen homosexuelle, unverheiratete und nach einer Scheidung wiederverheiratete Paare segnen. Die neue Bestimmung von Papst Franziskus löste weltweite Reaktionen aus.
Reaktionen lassen sich in drei Gruppen einteilen
Während der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller von Gotteslästerung sprach, schritt Jesuitenpater James Martin schon kurz nach Veröffentlichung des neuen Papiers zur Tat – und segnete ein gleichgeschlechtliches Paar aus New York.
Die progressiven Begrüßer
Die Reaktionen lassen sich in drei Kategorien einteilen. Die erste Gruppe begrüßt das Schreiben der Glaubenskongregation mit "Fiducia supplicans" (Das flehende Vertrauen).
Dazu zählen etwa Bischöfe aus Deutschland und Belgien. Eine zweite Gruppe reagiert bisher nicht gerade begeistert und verlegt sich darauf, den Text zu relativieren.
Die konservativen Relativierer
Ein interessantes Beispiel sind hier die USA. In deren stark gespaltener Gesellschaft sehen sich viele katholische Bischöfe auf der Seite derjenigen, die konservative Werte vertreten.
Einer ihrer Wortführer ist San Franciscos Erzbischof Salvatore Cordileone. "Ich ermutige alle, die Fragen haben, die Deklaration des Vatikans genau und im Kontext der unveränderten Lehre der Kirche zu lesen", erklärte er.
Das werde helfen, das Anliegen seelsorglicher Fürsorge richtig zu verstehen. Anders gesagt: "Fiducia supplicans" zielt auf die Seelsorge-Praxis in den Gemeinden ab; die kirchliche Sexualmoral bleibt indes unangetastet.
Die Gegner des Papiers
Bei der dritten Gruppe zieht auch dieses Argument nicht. Sie lehnt das Dokument von Franziskus' neuem Chefdogmatiker Kardinal Victor Fernandez rundherum ab.
Die Bischofskonferenz in Afrikas bevölkerungsreichstem Land Nigeria etwa kommentierte, die Segnung eines homosexuellen Paars "würde gegen Gottes Gesetz, die Gesetze unseres Landes, die Lehren der Kirche und das kulturelle Empfinden unseres Volkes gehen".
Ähnlich äußerten sich die Bischofskonferenzen von Malawi und Sambia. Der Erzbischof von Kenias Hauptstadt Nairobi, Philip Anyolo, untersagte allen Geistlichen in seinem Erzbistum, homosexuelle Paare und "irreguläre Beziehungen" zu segnen.
Todesstrafe für Homosexuelle unter islamischem Scharia-Gesetz
In allen vier Ländern – Nigeria, Malawi, Sambia und Kenia – sind gleichgeschlechtliche Handlungen auch durch staatliche Gesetze verboten. Homosexuelle müssen Haftstrafen befürchten, ebenso wie in rund zwei Dutzend weiteren afrikanischen Staaten.
In den nördlichen Landesteilen Nigerias, wo das islamische Scharia-Gesetz gilt, droht ihnen sogar die Todesstrafe.
Zudem werden Christen in dieser Region auf vielfältige Weise unterdrückt. Zusätzlichen Zorn wegen einer Segnung auf sich zu ziehen, dürfte vielen katholischen Gemeinden zu heikel sein.
Glaubenspräfekt Fernandez zeigte in einem Interview Verständnis für die schwierige Menschenrechtslage in vielen afrikanischen Ländern.
Afrikanische Bischöfe erarbeiten bis Mitte Januar gemeinsame Stellungnahme
Dass "Fiducia supplicans" in unterschiedlichen Kulturen verschieden angewendet werde, sei zulässig, sagte er. Unzulässig sei hingegen "die völlige Verweigerung".
Die Bischofskonferenzen dürften keine andere Lehre als die vom Papst genehmigte vertreten und müssten mit seelsorglicher Klugheit handeln.
Unterdessen rief der kongolesische Kardinal Fridolin Ambongo Besungu alle Bischofskonferenzen in Afrika auf, ihre Haltung zu "Fiducia supplicans" zu formulieren und ihm bis Mitte Januar zu schicken.
Der Vorsitzende des afrikanischen Bischofsrats SECAM will daraus eine Stellungnahme an den Vatikan verfassen, die als allgemeine Richtlinie für alle Ortskirchen in Afrika dienen soll.
Die "Mehrdeutigkeit" des Segen-Dokuments löse bei den Gläubigen große Ratlosigkeit aus, so der Eindruck des Kardinals. Ambongo ist auch Mitglied im Kardinalsrat des Papstes.
Ablehnung auch aus Lateinamerika, Osteuropa und Asien
Auf Konfrontationskurs gehen aber nicht nur afrikanische Kirchenmänner. Auch mehrere Bischöfe in Lateinamerika, Osteuropa und Asien lehnen die Segnung von Paaren in "irregulären Beziehungen" ab, etwa die ungarischen Bischöfe und der uruguayische Kardinal Daniel Sturla.
"Fiducia supplicans" sei eine "große Täuschung", schrieben der Erzbischof von Astana in Kasachstan, Tomasz Peta, und sein Weihbischof Athanasius Schneider. In einem Hirtenbrief verboten sie allen Priestern ihrer Diözese, solche Segnungen vorzunehmen.
Und dann ist da noch Kardinal Müller, einst Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan. Das Papier seines Nachnachfolgers Fernandez lehnte er prompt mit scharfen Worten ab.
In einem Gastbeitrag auf mehreren konservativen Online-Portalen kritisiert er, dass das Dokument nicht von der Vollversammlung der Glaubensbehörde diskutiert und beschlossen worden sei.
Kardinal Müller sieht in "Fiducia Supplicans" Gotteslästerung
Müller stört sich überdies am Inhalt, vor allem was die Segnung homosexueller Paare angeht. In der Bibel habe ein Segen etwas mit der von Gott geschaffenen Ordnung zu tun, die auf der sexuellen Verschiedenheit von Mann und Frau basiere.
"Die Segnung einer Realität, die sich der Schöpfung widersetzt, ist nicht nur unmöglich, sondern stellt Gotteslästerung dar", argumentiert der Kardinal. Zudem ist da noch die gegenteilige Aussage der Glaubenskongregation vom 22. Februar 2021.
Damals – noch unter Fernandez' Vorgänger Luis Ladaria – hatte die Glaubenskongregation auf eine Anfrage hin erklärt: Es ist "nicht erlaubt, Beziehungen oder selbst stabilen Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe (das heißt außerhalb einer unauflöslichen Verbindung eines Mannes und einer Frau, die an sich für die Lebensweitergabe offen ist) einschließen, wie dies bei Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts der Fall ist."
Unterweisung in Lehre muss in Haltung der Evangelisierung geschehen
Die neue Erklärung sei eine Klarstellung zu jenem "Responsum ad dubium". Dieses habe zahlreiche unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen: einerseits Lob für Klarheit und Übereinstimmung mit der beständigen Lehre der Kirche; andererseits Kritik an Inhalt oder Formulierung sowie begleitender Erläuterung.
Daher sei es angebracht, das Thema erneut aufzugreifen und lehrmäßige mit pastoralen Aspekten kohärent zu verbinden.
Denn, so Fiducia supplicans unter Verweis auf Franziskus' grundlegende Schrift "Evangelium gaudium" von 2013: "Jede Unterweisung in der Lehre muss in einer Haltung der Evangelisierung geschehen, die durch die Nähe, die Liebe und das Zeugnis die Zustimmung des Herzens weckt."
Im Chor der Reaktionen sind die Nein-Sager bislang am lautesten. Bleibt noch eine vierte Gruppe: die schweigende Mehrheit. Ob das neue Vatikan-Papier – weltweit betrachtet – ein Erfolg wird, entscheidet sich vor allem an ihr.