Kirche blickt auf AfD als stärkste Kraft in Sachsen und Thüringen

"Das sind natürlich 24 Prozent zuviel"

Die AfD hat im Osten Deutschlands hohe Stimmenanteile eingefahren. Die Kirchen haben sich im Wahlkampf klar gegen Parteien gestellt, deren Positionen nicht mit ihren vereinbar sind. Wie reagiert die Kirche nun auf das Ergebnis?

Sachsen-Anhalt: Ein Wahlplakat der AfD hängt an einer Laterne / © Jan Woitas (dpa)
Sachsen-Anhalt: Ein Wahlplakat der AfD hängt an einer Laterne / © Jan Woitas ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die AfD ist jetzt in Thüringen zum ersten Mal stärkste Kraft, in Sachsen war sie das schon vor vier Jahren. Hat Sie diese Nachricht überrascht?

Dr. Thomas Arnold (Direktor der katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen): Die ersten Prognosen hatten schon angedeutet, dass die AfD wieder als stärkste Kraft durchs Ziel gehen wird. Damals hieß es noch 30 Prozent, jetzt liegt sie bei 24 Prozent in Sachsen. Das sind natürlich 24 Prozent zuviel. Das sage ich auch als Christ. Aber es sind auch drei Prozent weniger als vor vier Jahren.

Insofern muss man schon sagen: Die AfD hat sich erst mal verschlechtert. Aber man muss eben auch sehen, dass die CDU in Sachsen deutlich abgerutscht ist und nicht nur knapp Zweite geworden ist wie vor vier Jahren, sondern eben jetzt deutlich unter 20 Prozent liegt. In manchen Wahlkreisen hat sie Platz zwei, in anderen Platz drei eingenommen.

Damit zeigt sich auch, dass der große Verlierer dieser Wahl in Sachsen auch die sächsische Union ist. Mit Blick auf das Parteiengefüge und auf eine in Teilen rechtsextreme Partei ist das schade. Das hätte ich mir anders gewünscht.

DOMRADIO.DE: Besonders punkten konnte ja die AfD jetzt auch mit ihren Direktmandaten. In Sachsen hat sie neun von 16 Direktmandaten geholt, also die Mehrheit. Wie ist das zu erklären? Sind das so charismatische, professionelle Menschen, die da für die AfD antreten?

Arnold: Wenn Sie in den letzten Wochen durch Sachsen gefahren sind, dann konnten Sie beobachten, dass kaum Kandidaten plakatiert wurden und Kandidaten zu sehen waren. Aber die AfD hat plakatiert und vor allem die Zweitstimmen für sich geholt. Natürlich hat sie auch viele Erststimmen geholt, aber da gibt es vor allem eine hohe Wählerwanderung weg von den CDU-Kandidaten, die bisher ihre Mandate geholt hatten.

Die AfD-Kandidaten haben die Mandate geholt, weil sie am Ende doch relativ stabil geblieben sind. Was mir Sorge macht, sind zwei Dinge. Erstens, dass diese AfD-Wählerschaft relativ stabil bleibt. Es ist kein radikaler Verlust mit 3 Prozent weniger Wählerzustimmung. Das Zweite ist, dass wir ein großes Stadt-Land-Gefälle haben. Dass die AfD "nur" 24 Prozent erreicht hat, lieg auch daran, dass die Städte das Ergebnis nach unten gezogen haben. Die wurden zuletzt ausgezählt. Es gibt aber auch Landesteile, die deutlich blauer geworden sind.

Was sind die Ursachen? Manche meinen, dass Marco Wanderwitz mit seiner deutlichen Klassifizierung, dass Ostdeutschen noch die Diktaturerfahrung in den Knochen steckt, sehr stark mobilisiert und polarisiert hat. Marco Wanderwitz hat kein Direktmandat erhalten, auch andere Kandidaten haben so schlecht abgeschnitten. Das liegt sicher daran, dass auch der Bundestrend hineingespielt hat. Ich bin vielen Leuten in den letzten Wochen begegnet, die immer wieder sagten: Na ja, ich wähle dann doch lieber die Mitte, Scholz oder die Grünen, da weiß sie eher, was ich habe als mit der CDU.

Aber ich möchte vor zwei Dingen warnen: Erstens dürfen wir jetzt nicht Sachsen und Thüringen abstempeln als "Das sind die Blauen im Land, mit denen wir nichts mehr zu tun haben wollen". Diese Tendenz gab es schon mal 2017, das darf 2021 auf keinen Fall wieder passieren. Ich bin ganz bei Ministerpräsident Hasselhoff, der auch Bundestagspräsident ist, dass das ein deutliches Warnsignal war. Jetzt müssen wir als Gesellschaft Lösungen suchen, wie wir zusammenkommen können. Aber eben jetzt nicht wieder so ein Sachsen-Bashing machen.

Zweitens und das in Richtung der Parteien gesprochen. Es braucht jetzt Angebote und wirkliche Alternativen, sodass die Menschen auch nochmal eine andere Wahl bekommen. In den nächsten Jahren stehen weitere Wahlen an. Dafür ist es wichtig, dass sie eben nicht für ihre Probleme oder das, was sie bewegt, die AfD als einzige Antwort sehen. 

DOMRADIO.DE: Kann es denn auch sein, dass die anderen Parteien da so ein bisschen resigniert haben und viel zu wenig Energie für den Osten oder für die ländlichen Teile des Ostens aufgebracht haben?

Arnold: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich habe die Kandidaten erlebt, wie sie alle Teile Sachsens besucht haben. Aber was ich wahrnehme, ist, dass Themen, die den Großteil der Bundesrepublik und auch die Mehrheit der Wählerstimmen bewegen, in Sachsen anders wahrgenommen werden. Schauen Sie auf die Lausitz. Das große Thema Braunkohleausstieg in den letzten Wochen heißt auch, dass davon in der Lausitz Existenzen bedroht sind. Für die Menschen stellt sich mit jedem Jahr, dass früher aus der Kohle ausgestiegen wird, die Frage: Muss ich ein Jahr eher meinen Job aufgeben? Schaffen wir so schnell eine Transformation?

Transformation ist in Sachsen und in Ostdeutschland gesamt kein Fremdwort. Das haben die Menschen dort schon 1989 erlebt. Das soll nicht Mitleid erzeugen, aber ich glaube, wir müssen auch in den nächsten Jahren, und wenn es um die Koalitionsverhandlungen geht, eine hohe Sensibilität dafür ausbilden, dass Menschen mit verschiedenen Geschwindigkeiten an Veränderungsprozessen teilhaben.

Was zu einer Spaltung in unserem Land führen kann, ist, dass die Transformation bestimmten Menschen schwerfällt, weil sie auch biografisch vielleicht andere Erfahrungen haben, und andere sagen, wir machen die Veränderung trotzdem genauso schnell und vielleicht noch schneller. Ja, wir brauchen mehr Umweltschutz. Ja, wir brauchen auch eine Veränderung, ohne Frage. Aber wir müssen schauen, wie sie sozial kompatibel und eben auch mit den Biografien der Menschen vereinbar ist, und erklären, erklären, erklären. Ohne das geht es nicht.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle könnte dabei die Kirche spielen? Die hat sich schon im Wahlkampf ganz klar gegen die AfD positioniert.

Arnold: Die Kirche hat im Vorfeld der Bundestagswahl alle Wahlprogramme der Parteien angeschaut, die im Bundestag vertreten sind. Dabei haben sie festgestellt, dass es Parteien gibt, die mehrheitlich den Postitionen der christlichen Kirchen und der sozial ethischen Positionen folgen. Es gab aber auch Parteien, vor allem am rechten und linken Rand, deren Positionen mehrheitlich nicht mit der christlichen Soziallehre vereinbar sind, sowohl der evangelischen als auch katholischen.

Jetzt wird es an der Kirche liegen, gerade in Sachsen trotz ihrer Minderheitensituation die öffentlichen Räume offenzuhalten. Wie schafft Kirche es, sich nicht nur auf das Sakrale zurückzuziehen, sondern wie schafft sie es, sich auch auf das, was die Gesellschaft von der Kirche braucht, zu konzentrieren? Wie kann Kirche das Miteinander gestalten?

Der erste Schritt ist aus meiner Sicht: Räume im öffentlichen Raum offenhalten, nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land. Im zweiten Schritt: Eine Debattenkultur führen, die unserem christlichen Menschenbild entspricht. Pöbeln hat in diesen öffenttlichen Räumen, die Kirchen gestalten, keinen Platz.

Das Interview führte Florian Helbig.


Dr. Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen / © Oliver Killig (Katholische Akademie Bistum Dresden-Meißen)
Quelle:
DR