Das Thema sexueller Missbrauch drängt wieder auf die Tagesordnung

Bericht, Hotline, Eckiger Tisch

Es ist deutlich ruhiger geworden um das Thema sexueller Missbrauch. Doch jetzt drängt es wieder mit Macht auf die Tagesordnung. Einen Tag nach dem Abschlussbericht der Jesuiten hat die Bundesregierung eine neue bundesweite Hotline für Missbrauchsopfer vorgestellt.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Opfer von sexuellem Missbrauch können seit Freitag (28.05.2010) Rat und Hilfe bei einer von der Bundesregierung eingerichteten Telefonberatung holen. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, startete in Berlin die telefonische Anlaufstelle. Insgesamt 65 Experten nehmen die Anrufe von Betroffenen oder ihren Angehörigen entgegen.

Derzeit sei das Telefon 30 Stunden pro Woche geschaltet, so Bergmann weiter. Je nach Nachfrage könnten die Beratungszeiten aber verlängert oder gekürzt werden. Bergmann wies darauf hin, dass sie bei der Einrichtung der Anlaufstelle die Erfahrungen der Hotline der katholischen Kirche berücksichtigt habe. Auch eine eigene Homepage der Missbrauchsbeauftragten wird am Nachmittag freigeschaltet.

Die Anlaufstelle solle Betroffenen die Möglichkeit geben, über das ihnen angetane Unrecht zu sprechen, so die Missbrauchsbeauftragte.
Ihre Berichte, die alle anonym behandelt würden, sollten dazu beitragen, konkrete Forderungen an die Politik zu formulieren. Die Experten sollen die Anrufer an weitere Hilfsangebote verweisen, sie leisteten selber aber keine therapeutische oder rechtliche Beratung, sagte Bergmann.

Das Amt der Regierungsbeauftragten war im März nach Bekanntwerden hunderter Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in kirchlichen und anderen Erziehungseinrichtungen ins Leben gerufen worden. Bislang seien bei ihr rund 500 Berichte per Post eingegangen, ebenso viele per E-Mail, sagte die frühere Bundesfamilienministerin. Es hätten sich mehr Männer als Frauen gemeldet. Die meisten seien in Einrichtungen missbraucht worden, vor allem in denen der katholischen Kirche, so Bergmann. Aufgrund der bisher gehörten Schilderungen plädiere sie bereits jetzt dafür, ernsthaft über eine Aufhebung der Verjährungsfristen nachzudenken.

Der Ulmer Mediziner Jörg M. Fegert, der die Anrufe wissenschaftlich auswertet, sagte, die Anlaufstelle biete die gesellschaftlich einmalige Chance, Betroffene zu fragen und politisch etwas zu bewegen. Keiner der Anrufer werde aber ausgefragt. Er kündigte an, dass im August über die ersten Erfahrungen berichtet werde.

Erfahrungen der Bischofskonferenz
Bei der Deutschen Bischofskonferenz spricht man mit Blick auf die kirchliche Hotline von einer riesigen Anrufer-Welle, die sich jetzt langsam auf das vorher erwartete Normalmaß einpegle. Nach Angaben des Leiters des Bereichs Beratungsdienste beim Bistum Trier, Andreas Zimmer, wurden bislang mehr als 20.000 Anrufe registriert. 6.000 Menschen hätten Kontakt gesucht; es gab mehr als 2.200 Beratungsgespräche und weitere 160 Online-Beratungen.

Genaue Zahlen darüber, wieviele der Anrufer Opfer von Misshandlungen oder sexuellem Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen wurden, liegen noch nicht vor. "Anfangs waren schätzungsweise drei Viertel der Anrufer Opfer oder deren Angehörige", schätzt Zimmer. Im Lauf der vergangenen Wochen habe aber der Anteil der Scherzanrufe und allgemeinen Beschwerden über die Kirche stark zugenommen. Auch sinkt mittlerweile die Zahl der Anrufe deutlich: Nahmen die Berater in den ersten Wochen rund 200 Anrufe pro Vier-Stunden-Schicht entgegen, so sind es jetzt noch 20 bis 30.

Aufklärung bei den Jesuiten
Weitere Aufklärung zum Thema Missbrauch gaben die Jesuiten: Der Provinzial der deutschen Jesuiten, Pater Stefan Dartmann, stellte am Donnerstag den Abschlussbericht zu den Missbrauchsfällen im Orden in München vor - gemeinsam mit der Missbrauchsbeauftragten Ursula Raue.

Der in Anspielung auf die "Runden Tische" der Bundesregierung ins Leben gerufene "Eckige Tisch" ehemaliger Schüler der vier deutschen Jesuiten-Gymnasien kommt am Samstag in Berlin mit Vertretern der Jesuiten zusammentreffen wollen. Von Seiten des Ordens wird unter anderem Provinzial Dartmann dabei sein, außerdem sein designierter Nachfolger Stefan Kiechle sowie die Rektoren des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, und vom Kolleg Sankt Blasien, Johannes Siebner.