oder plötzlich sind Schneeglöckchen da

Das Wunder hüten

Endlich. Der garstige, tiefnasse Niederrheinhimmel, der ein ganzes Wochenende alles in tristes Grau getränkt hat, klart auf.

 (DR)

Schnell stiefele ich mit unserem Hundeknäuel in die Wintersonne. Hänge der großen Rede nach, die der Journalist Heribert Prantl gerade im ausverkauften Düsseldorfer Schauspielhaus gehalten hat. Das Wintergefühl 2019 sei "nicht heimelig, sondern bang". Denn: "Die Weltordnung zersplittert; es ist, als läge Krieg in der Luft."

Längst hatte sich dieser  Gedanke auch in mein Hirn geschlichen. Die Unberechenbarkeit von Trump und Putin, Bolsonaro, Duterte und Jong-un, ist so groß, dass alles möglich scheint. Sogar Krieg.

Aber bang etwas im Stillen zu denken - und das Gleiche auf der großen Bühne ausgesprochen zu hören, das sind dann doch zwei Dinge. So wird mir gleich nochmal so bang. "Heulen", aber sagt Prantl, helfe nicht. Was helfe, sei das Wunder sehen.

Weil das hier die WunderBar ist, der Ort für alles wunderlich-wunderbare, will ich dieses Wunder, das Prantl meint, aufgreifen.

Das Wunder Europa. Nach zwei Weltkriegen und so vielen Kriegen davor, hätten die Menschen Frieden geschaffen. Aber, mahnt Prantl, wir hätten verlernt, das Friedenswunder "immer noch zu begreifen und wertzuschätzen". Dieses Europa sei, trotz aller Fehler, z.B. trotz der Auslieferung der Menschen an den Raubtierkapitalismus, ein anderes Wort für "Zukunft".

Zukunft aber brauche Respekt für alle Menschen. Doch nie hätten Hartz IV Empfänger so viel Sympathie und Hilfsbereitschaft bekommen, wie Geflüchtete im Herbst 2015. Der Szenenapplaus verrät den wunden Punkt, den Prantl trifft. Szenenapplaus auch als Prantl zitiert: "Von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität."

In sieben Grillparzer-Worten ist damit alles gesagt, was gerade passiert. Im Mittelmeer, an der Grenze zu Mexiko - oder in AfD-Programmen: überall schwindet die Humanität, überall soll durch den Vorrang der eigenen Nation alles besser werden. Genau dadurch aber verfinstert Bestialität, also Krieg, den Horizont.

Prantl macht den Menschen Mut für das Wunder Europa und den Frieden, den es uns allen schenkt, einzustehen. Frieden müsse immer neu gestiftet werden. Heftiger Applaus.

Unterdessen biege ich auf der Hunderunde ins Wäldchen ab. Als würde ich den Sucher meiner Kamera scharf stellen, springen mir lauter Schneeglöckchen ins Auge. Ich staune: so zarte Gewächse trotzen als erste dem Winter, künden vom Frühling.

Und frage erst mich, und jetzt Sie: warum in aller Welt, sollten nur Schneeglöckchen der Winterangst trotzen können?