DOMRADIO.DE: Wieviel Wahrheit steckt denn in der Regel in dieser vatikanischen Gerüchteküche?
Ulrich Nersinger (Journalist und Vatikanexperte): Momentan kann ich mir schlecht einen Rücktritt von Papst Franziskus vorstellen. Ich denke, dafür ist er zu sehr Papst und dafür übt er auch das Papstamt zu sehr aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er zurücktritt. Auch nicht wegen der vielen Schwierigkeiten, vor der die Kirche heute steht.
DOMRADIO.DE: Woher kommen dann diese Gerüchte?
Nersinger: Wir haben in Rom ja immer eine Gerüchteküche, die brodelt. Das ist mal mehr, mal weniger. Und wenn dann bestimmte Ereignisse gewesen sind, dann brodelt es eben etwas heftiger. Das System Vatikan gleicht auch heute noch immer ein bisschen einem Hofstaat, wo bestimmte Gruppierungen ihre Interessen haben, wo dann auch vielleicht die Medien mit hineingezogen werden.
DOMRADIO.DE: Und wenn der Papst dann gerade im Krankenhaus gewesen ist und ein gewisses Alter überschritten hat, dann kann auch das Gerücht Papst-Rücktritt aufkommen?
Nersinger: Ja, selbstverständlich, das ist ganz klar. Es ist ja auch ganz normal. Das würde ja auch bei anderen Würdenträgern, bei anderen Politikern oder Personen des öffentlichen Lebens der gleiche Fall sein.
DOMRADIO.DE: Das Rücktritts-Gerücht kommt aus der Zeitschrift "Libero". Das ist eine Publikation aus dem rechtskonservativen Bereich, die eigentlich immer relativ kritisch über Papst Franziskus berichtet. Könnte da auch kirchenpolitisches Kalkül hinter stecken?
Nersinger: Das ist durchaus möglich und ich halte das sogar für wahrscheinlich. Denn der Papst hat ja einige Entscheidungen gefällt, die natürlich gewisse Gruppierungen der Kirche doch sehr berührt beziehungsweise aufgeregt haben. Das hat auch zu heftigen Angriffen gegen den Heiligen Vater geführt.
DOMRADIO.DE: Eine weitere Publikation "Sismografo" schließt einen Rücktritt aus, geht aber davon aus, dass es schon in den nächsten Wochen einen Erlass geben wird, der Regeln für Papstrücktritte festlegt. Was darf ein ehemaliger Papst tragen, wie wird er angesprochen? Was ist denn von so etwas zu halten?
Nersinger: Wenn Sie mich ehrlich fragen, recht wenig. Denn solche Dokumente sind natürlich nach dem Tod eines Papstes im Grunde hinfällig. Wir haben in Rom ein uraltes Sprichwort, das heißt: Ein Papst versiegelt, ein anderer entsiegelt. Der Papst ist für die Kirche der Herr des Gesetzes. Er kann im Grunde alles in der Kirche, wenn es nicht dogmatischer Natur ist, machen, was er möchte. Natürlich nur aus vernünftigen Überlegungen heraus. Er kann natürlich so etwas festlegen. Er kann bestimmte Vorgaben machen. Er kann Empfehlungen geben. Aber ob sich dann sein Nachfolger daran hält, ist diesem völlig überlassen.
Denken wir zum Beispiel daran, dass Papst Paul VI. die Zahl der Papstwähler auf 120 begrenzt hat. Wir sehen jetzt, dass die Zahl durchaus höher ist. Niemand wird hier sagen: "Das darf der Papst nicht. Damit wäre die nächste Wahl ungültig." Nein, der Papst ist frei in seinen Entscheidungen. Ob sie immer vernünftig sind, ist ein anderes Kapitel.
DOMRADIO.DE: Die Spekulationen über Papstrücktritte kommen immer wieder hoch. Was halten Sie allgemein davon?
Nersinger: Das kann man nicht voraussagen. Wir erleben ja auch eine sehr dynamische Kirche zurzeit, auch dynamische Entwicklungen. Aber grundsätzlich würde ich sagen, der Papst wird das nicht machen. Dazu ist er viel zu sehr Papst.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.