DOMRADIO.DE: Gemeinden des Islamverbandes Ditib schließen sich dem Aufruf zum Gebet für einen Krieg an, statt für eine friedliche Lösung. Ditib schreibt auf seiner Internetseite: "Islam bedeutet zugleich Frieden, Sicherheit und die freiwillige Hingabe an Gott." Laut einem Bericht von Spiegel online, schreibt ein Imam im baden-württembergischen Bad Wurzach, man bete dafür, dass "unsere heldenhafte Armee und unsere heldenhaften Soldaten siegreich sein werden". Wie passt das zusammen?
Dr. Timo Güzelmansur (Leiter der Christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz (CIBEDO)): Soweit mir die Meldungen bekannt sind, müssen wir sorgfältig unterscheiden: Der Aufruf zum Gebet für den Sieg der türkischen Truppen in Afrin kommt aus Ankara, nämlich aus der türkischen Religionsbehörde. Aufgerufen, ihn umzusetzen, sind die von der Türkei entsandten und für DITIB tätigen Imame.
Das macht es natürlich nicht besser. Krieg ist nie gut! Es ist verheerend, wenn religiöse Organisationen kriegerische Auseinandersetzungen befürworten. Religion sollte Frieden stiften. Offensichtlich stehen hier türkisch-nationale Interessen im Vordergrund. Die islamische Religion, von der DITIB immer wieder sagt, sie bedeute Frieden, wird instrumentalisiert.
DOMRADIO.DE: Welche Folgen hat der Aufruf zum Gebet für einen Sieg der Türkei in Moscheen für das Zusammenleben in Deutschland?
Güzelmansur: Die türkischen Truppen haben ein mehrheitlich von Kurden bewohntes Gebiet in Syrien attackiert. Inzwischen wird der Konflikt zwischen Türken und Kurden auch in der Türkei selbst wieder gewaltsam ausgetragen. Dort wurden im letzten Jahr führende kurdische Politiker unter dem Vorwurf der Terrorunterstützung verhaftet. Der Weg zu einer Lösung auf dem Verhandlungsweg, die zeitweise möglich schien, wird zusätzlich erschwert.
Diese Ereignisse, aber auch die anderen Konflikte im Nahen Osten, sind in Deutschland zunehmend spürbar. Hier leben zahlreiche Menschen mit einem türkischen oder kurdischen Hintergrund. Moscheen sollten dazu beitragen, dass die Menschen untereinander den Frieden wahren, sie sollten Orte sein, in denen alle willkommen sind.
Wenn hier für den Sieg einer Seite gebetet wird, kann das nur zu weiteren Konflikten führen. Es kommen auch schon die ersten Meldungen, dass z. B. eine DITIB-Moschee in Leipzig attackiert wurde. Auch am Flughafen in Hannover haben sich Befürworter und Gegner des türkischen Einmarsches eine Massenschlägerei geliefert.
DOMRADIO.DE: Gibt es die Befürchtung, dass das den interreligiösen Dialog in Deutschland beeinflusst?
Güzelmansur: Sicherlich haben solche inner-muslimischen Konflikte – wir haben ja zwei muslimische Gruppierungen, die gegeneinander stehen – auch Auswirkungen auf den interreligiösen Dialog, je nachdem in welchem Stadtteil man lebt oder wenn Gemeinden miteinander kooperieren wollen.
Nehmen wir an, eine katholische Gemeinde will mit einer muslimischen Gemeinde kooperieren: Wenn da ethnische Konflikte herrschen, dann wird es schwierig sein, sich zu verständigen, miteinander irgendwelche Projekte anzufangen, und das hat auch Auswirkungen auf den interreligiösen Dialog, auf jeden Fall.
DOMRADIO.DE: Es scheint, als werde der Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen PKK jetzt unter dem Deckmantel eines Religionskrieges geführt, welchen Hintergrund sehen Sie hier?
Güzelmansur: Tatsächlich handelt es sich nicht um einen religiösen Konflikt. Auf beiden Seiten finden wir sunnitische Muslime, es soll in Afrin den Meldungen zufolge nur wenige Alawiten geben. Es ist absurd, hier von einem Religionskrieg zu sprechen. Der Präsident der türkischen Religionsbehörde Prof. Ali Erbas aber verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff "Dschihad", mit dem in der islamischen Tradition die Verteidigung des Islam bezeichnet wird. Meines Erachtens wird hier eine national-politische Auseinandersetzung im religiösen Gewand ausgetragen.
DOMRADIO.DE: Die Ditib betont immer wieder politisch neutral zu agieren. Wenn aber die Ditib diesem Aufruf der staatlichen Religionsbehörde Diyanet folgt und auch der Religionsattaché der türkischen Botschaft in Berlin, Ahmet Fuat Candir, sich auf seiner Facebook-Seite diesem Aufruf anschließt – Inwieweit ist die politische Neutralität des Islamverbandes glaubwürdig?
Güzelmansur: Dieses Thema beschäftigt ja mittlerweile viele in Deutschland. Es wurden in einigen Bundesländern Gutachten in Auftrag gegeben, die zur Klärung dieser Frage beitragen sollen. Die Nähe der DITIB zu und Abhängigkeit von der türkischen Religionsbehörde Diyanet geht schon aus der eigenen Satzung hervor, das Gegenteil zu behaupten wäre unredlich.
Der Präsident der Religionsbehörde führt satzungsgemäß den Vorsitz im mächtigsten DITIB-Organ, dem Beirat. Der Vorsitzende von DITIB ist seit ihrer Gründung immer ein entsandter Mitarbeiter der Religionsbehörde. Die weit überwiegende Mehrheit der in DITIB-Moscheen eingesetzten Imame sind türkische Staatsbeamte. Das Arbeitsgericht Köln hat im vergangenen März festgestellt, dass DITIB gegenüber den eigenen Imamen keine Dienstherrenfunktion hat. Vielmehr sind sie den Religionsattachés an den türkischen Konsulaten unterstellt. Daher sind sie nicht neutral, sondern abhängig von der türkischen Regierung.
DOMRADIO.DE: Wie schwer fällt der katholischen Kirche nach einem solchen Aufruf der Dialog mit dem Islamverband Ditib?
Güzelmansur: Die religiösen Bedürfnisse und Betreuung der in Deutschland lebenden Menschen sollten an oberster Stelle stehen. Wir wünschen uns einen Dialogpartner, der tatsächlich jenseits von national-politischen Ereignissen handelt.
Das Interview führte Jann-Jakob Loos.