Seit Jahrzehnten wird das Problem ohne Ergebnis diskutiert, nun gewinnt die Auseinandersetzung an Schärfe: Der Ruf nach Veränderungen wird lauter, Kritiker fordern eine Anpassung der kirchlichen Vorschriften in einer Zeit, in der auch immer mehr Katholiken in zweiter oder dritter Ehe leben. Mit dem Internet-Memorandum von Priestern und Diakonen aus dem Erzbistum Freiburg kommt der Ruf nach Veränderung inzwischen auch aus den Reihen der Seelsorger.
Fast 200 von ihnen haben unter den Aufruf "Kirche 2012 - den notwendigen Aufbruch wagen" unterzeichnet. Die Forderung, in Zweitehe Lebende zur Kommunion und zur aktiven Mitarbeit etwa im Pfarrgemeinderat zuzulassen, verbindet das Memorandum mit ähnlichen Initiativen in anderen Teilen Deutschlands. Zuletzt kam eine von der Katholischen Frauengemeinschaft (kfd) angestoßene Unterschriftenaktion auf nahezu 100.000 Unterschriften.
Neu ist, dass die Freiburger Memorandums-Priester mit ihrer Unterschrift öffentlich machen, dass sie die Betroffenen in ihren Gemeinden nicht mehr länger vom Sakramentenempfang ausschließen wollen - oder das schon seit Jahren nicht mehr tun. Sie berufen sich auf das Prinzip der Barmherzigkeit und die von vielen Theologen ins Feld geführte Gewissensentscheidung der Einzelnen. Streng genommen ist das Memorandum ein öffentliches Bekenntnis zum Ungehorsam.
Erzbischof Robert Zollitsch bittet zum Gespräch
Die Bistumsleitung forderte prompt per Brief alle Pfarrer zum Widerruf ihrer Unterschrift auf. Bislang folgten zwei Priester der im Ton moderat vorgetragenen Bitte des Freiburger Generalvikars Fridolin Keck. Der hat unterdessen die Initiatoren zu einem Gespräch in der kommenden Woche eingeladen, an dem auch Erzbischof Robert Zollitsch teilnehmen wird.
Bis dahin werben die Befürworter für ihr Anliegen. "Jesus ist ein wichtigerer Maßstab als das Kirchenrecht", sagt der Hohberger Pfarrer Bernhard Pfaff. Memorandums-Mitinitiator Peter Stengele, Seelsorger im Bodenseekloster Hegne, argumentiert pragmatisch: "Wir haben es satt, immer nur über Dialog und Reform zu reden, es muss jetzt etwas passieren. Sonst laufen uns die Leute weiter massenweise davon."
Gruppen wie "Wir sind Kirche" versuchen den Anstoß aus Freiburg in einen Zusammenhang mit der noch breiter angelegten Österreicher Pfarrerinitiative zu bringen, bei der rund ein Zehntel des Klerus Reformappelle mit dem Bekenntnis zu Ungehorsam gegenüber Rom und Bischöfen verknüpft. Anders als in Freiburg sprechen sich die österreichischen Kirchenrebellen auch für ein Ende des Zölibats, für priesterlose Eucharistiefeiern und für Pfarrerinnen aus.
Indes: Auch die Initiatoren des Freiburger Bündnisses denken an weitere Stellungnahmen. Eine gerade neu gegründete Internetseite von Laien-Katholiken im Erzbistum unterstützt die Kleriker. Auch der Vorstand des Freiburger Diözesanrats als Vertretungsgremium der Kirchenbasis spricht von einem wichtigen Vorstoß, barmherziger auf Menschen zuzugehen, deren Ehe scheiterte.
Mit Veränderungen ist nicht zu rechnen
Beim Thema Barmherzigkeit für diese Personengruppe gibt es denn auch die größte Schnittmenge mit den Worten des Freiburger Erzbischofs und Bischofskonferenz-Vorsitzenden Robert Zollitsch. Noch vor dem Papstbesuch im September hatte sich Zollitsch so geäußert. Das Stichwort griff in seiner Rede an den Papst auch der damalige Bundespräsident Christan Wulff auf - ein Katholik, der ebenfalls in zweiter Ehe verheiratet ist. Der Papst sagte damals nichts zu dem Diskussionsbeitrag Zollitschs und zum überraschenden Vorstoß des Bundespräsidenten. Sein Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Perisset, wies jedoch darauf hin, dass mit einer Veränderung in der kirchlichen Lehre nicht zu rechnen sei.
In Freiburg soll die für April 2013 geplante Diözesanversammlung das Thema diskutieren. Vier Tage lang soll dann ausgelotet werden, was auf Bistumsebene für einen versöhnlicheren Umgang mit Geschiedenen getan werden kann. Hierfür gebe es auch ohne Entgegenkommen Roms genügend pastorale Spielräume, heißt es in Kirchenkreisen.
Debatte um Rechte wiederverheirateter Geschiedener
Barmherzigkeit vs. Kirchenrecht
Für Nicht-Katholiken ist der Streit oft schwer nachvollziehbar, für Betroffene rührt er an den Kern ihres Glaubens: Weil die Ehe nach katholischem Verständnis unauflöslich ist, sind Geschiedene nach einer zweiten zivilen Eheschließung vom Empfang der Kommunion und auch von der Beichte ausgeschlossen, da sie laut Kirchenrecht dauerhaft in einem Zustand schwerer Sünde leben.
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