"Lo Spelacchio" - der Gerupfte, der Kahle - heißt er nur noch. Kein Weihnachtsbaum mehr, allenfalls ein überdimensionierter Besen stehe da auf der Piazza Venezia, witzeln die Römer auf der Straße, in Zeitungskommentaren und sozialen Medien. Seit zuletzt kräftige Windböen durch die Fichte vor dem "Altar des Vaterlandes" fuhren, sieht das arme Geschöpf tatsächlich arg gerupft aus. Ob er bis Weihnachten durchhält? In sozialen Netzwerken wurde jedenfalls schon zu Beerdigungsfeiern für "Lo Spelacchio" geladen.
Dabei macht zumindest nachts das Arrangement mit seinen Lichterketten noch einiges her; seine Hässlichkeit offenbart der Baum tagsüber: Die 800 silbern-schimmernden Kugeln, mit denen der Christbaum hauptsächlich geschmückt ist, dominieren inzwischen die verbliebenen grünen Zweige. Dabei war die 22 Meter hohe Fichte einmal ein stolzer und schöner Baum - bevor sie gefällt wurde im Val di Fiemme (Fleimstal) nordöstlich von Trient. Wie es dazu kam und wer die Kosten für das Desaster trägt, wird nicht nur auf Roms Straßen, in den Zeitungen der Hauptstadt und auf Twitter derzeit breit diskutiert.
Christbaum am Petersplatz in voller Pracht
Zumal ein anderer Baum in Rom beweist, dass es auch anders geht: Der Christbaum auf dem Petersplatz: Die 27 Meter hohe Fichte aus Elk in Nordostpolen hat Berichten zufolge einen zwölftägigen Transport hinter sich und bislang nicht nur der Reise, sondern auch allen Böen getrotzt. Sie steht da in voller Pracht, behängt mit etlichen von Kindern verzierten Kugeln.
Andererseits solidarisieren sich etliche Römer mit ihrem kommunalen Baum. Es kommt so etwas wie fatalistischer Stolz auf: er sei so etwas wie ein Clochard der Stadt, wie eine Fata Morgana in der Wüste. Mit Bezug auf die Fotos des Spelacchio, die durch die Netze geistern, schreibt ein Kolumnist: "Jeder kann einen blühenden Jüngling oder eine herausgeputzte Achtzehnjährige fotografieren", schwieriger sei es, den Sinn und den Blick für das Alltägliche, Schwache und Verletzte zu bewahren.
Angesichts der vorherrschenden männlichen Haarmode in Rom, Glatze und Vollbart, könnte man den Spelacchio aber auch als "Weihnachtsbaum en vogue" verstehen: oben kahl und unten voller Stoppeln - respektive Nadeln. Nadellos statt tadellos. Frei nach der Weihnachtslied-Strophe "O Tannenbaum, dein Kleid will mich was lehren ..." zieht mancher seine eigenen Parallelen: "Tja, so ist das eben in Rom - wie die Stadt, so ihr Baum", sagt eine Römerin, die das Drama dennoch gelassen und belustigt nimmt.
Vertrocknete Fichte
Immerhin soll der Baum des Anstoßes die Stadt ein stolzes Sümmchen gekostet haben: Medien berichten von 48.000 Euro Transport- und inzwischen Entsorgungskosten der Tanne, die laut städtischem Umweltamt vertrocknet ist. Italienische Verbraucherschützer forderten schon eigene Untersuchungen - solche Verwendung von Steuergeldern schädige die Bürger.
Wie so vieles derzeit wird auch der Spelacchio mit dem Zustand Roms und seiner Bürgermeisterin Virginia Raggi verknüpft. Die Politikerin von der Anti-Establishment-Partei der "Fünf-Sterne-Bewegung" habe auch hier ihr unglückliches Händchen bewiesen, heißt es. Sie selbst kündigte jedenfalls unlängst an, ihr Mandat nicht verlängern zu wollen. Es sei schon ein Erfolg, wenn sie ihre erste Amtszeit vollenden könne, sagte sie.
Die Stadtverwaltung ließ verlauten, die Fichte sei schlicht vertrocknet. Die Kommune von Val di Fiemme riet daraufhin, im kommenden Jahr doch einen Baum aus der römischen Nachbarschaft zu fällen. Da sei die Gefahr geringer, dass er auf dem 560 Kilometer weiten Weg vertrocknet. Die Frage, warum die Fichte aus dem 2.000 Kilometer entfernten Masuren noch so frisch auf dem Petersplatz steht, erklären römische Medien übrigens mit einem speziellen Transportverfahren, bei dem die Tanne in ein besonderes Tuch gewickelt worden war.