Debatte um Verkaufsstart von Lebkuchen hat kulturelle Dimension

Alles hat seine Zeit

Lebkuchen im September? Wer sich daran stört, braucht jetzt gute Nerven. In diesem Jahr fällt der Verkaufsstart nämlich bereits in den August. Genauer: Mit Beginn dieser Woche kommt das sogenannte Herbstgebäck in die Supermärkte.

Autor/in:
Paula Konersmann
Lebkuchen (dpa)
Lebkuchen / ( dpa )

So zuverlässig wie das Verkaufsangebot kommen die Beschwerden darüber. "Fehl am Platz" fänden sie das weihnachtliche Gebäck im Sommer, schreiben zum Beispiel Internetnutzer auf der Facebook-Seite "Kein Lebkuchen vor dem 1. Advent" - oder schlicht "igitt!". Auch die Kritik, dass der Verkauf von Jahr zu Jahr früher starte, ist in den Sozialen Medien häufig zu lesen. Der Deutsche Einzelhandelsverband hingegen betont, dieser Eindruck täusche: Der Verkaufsstart ist immer gleich terminiert - und offenbar gibt es zudem genug Menschen, die bereits an einem kühlen Septemberabend Appetit auf Zimtsterne, Dominosteine und Co. verspüren.

"Leider geil", nennt es ein Facebook-Kommentator, wenn adventliche Süßigkeiten in der Sommersonne dahinschmelzen. Er spielt damit an auf ein Lied der deutschen Hip-Hop-Gruppe Deichkind. In ihrem Vorjahreshit rappen die Hamburger zum Beispiel darüber, wie Menschen gegen Atomstrom sind, aber gleichzeitig ständig über ihr Smartphone Energie verbrauchen, darüber, wie viele Dinge beinahe jeder heute gerne tut, wohlwissend, dass sie "schlecht für die Nordsee, schlecht für den Kopf" oder "schlecht für die Zukunft" sind. Viele Hörer haben den Partysong als ironische Sozialkritik interpretiert.

Doch woher kommt dieses Einknicken vor dem Konsum?

Die Wirtschaft könne man nicht allein verantwortlich machen, sagt Pater Alois Riedlsperger. "Die Händler orientieren sich schließlich an der Nachfrage. Neutral können dabei die wenigsten entscheiden, da sie unter Konkurrenzzwang stehen", erklärt der Wiener Jesuit. Die kulturelle Dimension - in diesem Fall zum Beispiel jahreszeitliche Rituale - würden einfach ausgeblendet. "Die Konsumenten betrachten es heute als ihre individuelle Freiheit, alles sofort zur Verfügung zu haben."

Kulturelle oder auch sozialen Folgen dieser Freiheit, etwa die Kinderbetreuung für Verkäufer mit immer flexibleren Arbeitszeiten, würden wenig reflektiert. "Dabei gilt es, einen gemeinsamen gesellschaftlichen Rahmen zu stecken", sagt Riedsperger, der zuletzt in der Ordenszeitschrift "Stimmen der Zeit" für eine "Kultur der Genügsamkeit" geworben hat. In seinem Beitrag erklärt er unter anderem am Beispiel des Sonntags, wie wichtig die Rhythmisierung von Zeit für den kulturellen Zusammenhalt ist. "Der Sonntag bietet einen freien Tag für möglichst viele Menschen, da spielen Wirtschaft und Kultur zusammen", erklärt Riedlsperger. "Wenn er weiter individualisiert wird, setzen sich irgendwann nur noch diejenigen mit gesellschaftlicher Vormacht durch."

Auf ein Stückchen Spekulatius an einem kühlen Septemberabend könne es ja wohl nicht ankommen, wenden da manche Freigeister ein. Riedlsperger schmunzelt. "Die Frage ist nicht, wann weihnachtliche Süßigkeiten erlaubt oder verboten sind", sagt er. "Die Frage ist, was verloren geht, wenn man jeder Lust sofort nachgibt." Das spezifische Winterliche am Weihnachtsfest werde nach und nach auf das ganze Jahr verteilt. "Dabei hat das Feiern von Festen im menschlichen Leben einen zentralen Wert. Und auch für Geburtstage oder Hochzeiten ist ein gemeinsamer Rahmen ganz entscheidend." Wer schon im Spätsommer am Nikolaus knabbert, handelt also nicht, wie manche Forumsnutzer im Internet kommentieren, "wider die Natur". Er bringt sich vielmehr selbst um den besonderen Genuss, der im Abwarten-Können liegt. Oder, wie der Volksmund sagt: Vorfreude ist die schönste Freude.


Quelle:
KNA