Marco, Anna und Lionel sind sichtlich in ihrem Element, als sie im Takt zur Musik in ihren Kochtöpfen rühren, mit den Deckeln klappern und gleichzeitig dazu singen. Diese Szene haben sie mit Regisseurin Brigitta Gillessen besonders intensiv in den Proben geübt. Denn damit sie synchron und in sich stimmig rüberkommt, muss jeder der drei wissen, was genau gerade dran ist, wo sein Platz ist und wie er sich bewegen muss. Und alles, was sich leicht und selbstverständlich anhören und ansehen soll, erfordert meist noch mehr Konzentration als ohnehin schon ein solch aufregendes Singspiel vor großem Publikum. Schließlich ist der Auftritt auf der Bühne nochmals eine andere Nummer als der Chorgesang in großer Gemeinschaft am Sonntag im Kapitelsamt. Hier an der Seite der echten Profis kommt es darauf an zu zeigen, dass man in der Solo-Rolle eines der kleinen Füchse Lucky, Leonie und Luca mithalten kann und umsetzt, was es an musikalischen, aber auch dramaturgischen und schauspielerischen Tipps in den letzten Wochen immer wieder für die sängerischen Nachwuchstalente gegeben hat.
Die drei Elf- und Zwölfjährigen sind zum ersten Mal in der Kinderoper mit dabei und haben sichtlich Freude an dieser vergnüglichen Performance. Das sieht man den kleinen Mimen aus den Reihen der Kölner Dommusik an. Sie waren vor 14 Tagen die Premierenbesetzung. Doch auch ihre sechs Kolleginnen und Kollegen – Moritz und Titus aus dem Kölner Domchor sowie Laura, Marie, Greta und Ruri aus dem Mädchenchor am Kölner Dom, mit denen sie sich die insgesamt zehn Aufführungen teilen – sind mit großer Ernsthaftigkeit bei der Sache. Trotz der akribisch genauen Vorbereitung haben alle viel Spaß beim Mitmachen in Saal 3 des Deutzer Staatenhauses. Denn das sind ganz neue Erfahrungen, wenn sie hier zum Singen nun zusätzlich vorher in die Maske müssen, zudem ein drolliges Kostüm anziehen und jede Vorstellung von großem Lampenfieber begleitet wird. Nicht zuletzt weil es sich um eine Kölner Uraufführung handelt.
Lange Zeit diente der alte Fuchs als Vorbild
Doch spätestens wenn sie dann drin im Spiel sind und sich der Inhalt des Stücks "Der Fuchs, der den Verstand verlor" abspult – als Vorlage dient das gleichnamige Kinderbuch von Martin Baltscheit – wird klar, dass es sich nur vordergründig um eine lustige Tiergeschichte handelt, das behandelte Thema aber eigentlich tieftraurig ist. "Der alte Fuchs ist an Demenz erkrankt. Nun vergisst er ganz viel, bringt die Dinge durcheinander und wird von den anderen dafür gehänselt und verspottet", erzählt Moritz, der einen der jungen Füchse verkörpert. "Doch wir zeigen ihm, dass wir ihn trotzdem lieben. Denn er kann ja nicht dafür, dass er krank wird und plötzlich jede Orientierung verliert."
Doch bis zu diesem versöhnlichen Ende durchleben die Zuschauer erst einmal alle Höhen und Tiefen, die der Betroffene selbst, aber auch sein soziales Umfeld durchmachen, wenn erste Anzeichen einer Diagnose offenbar werden und sich ein Krankheitsstadium ans andere reiht – bis zur totalen Entfremdung. In der Kinderoper betrifft das den Fuchs, dem in der Fabel-Welt die Attribute schlau, hinterlistig und schnell anhaften und der sonst für jedes Abenteuer zu haben ist. Immer hungrig und auf der Lauer verfolgt er Gänse, Hasen und Hühner; allein vor der Hatz seiner natürlichen Feinde, der Hunde, ergreift er die Flucht.
Doch nun hat ihn sein Instinkt verlassen, selbst der des Jagens. "Ohne Grütze in der Birne mögen wir ihn sehr, ohne Grütze in der Birne bleibt der Magen leer", lachen ihn schon bald die kleinen Füchse aus, die daran gewöhnt sind, dass der Vater als Versorger eine Beute bringt, sie nun aber mit leerem Magen da stehen. Überhaupt geschieht zunehmend allerlei Merkwürdiges. Und das, obwohl ihnen der alte Fuchs doch noch vor gar nicht langer Zeit als Vorbild diente, immer bereit, die eine oder andere List mit ihnen gemeinsam auszuhecken und von seinen Tricks etwas an die nachwachsende Generation weiterzugeben.
Autor Baltscheit schafft Verbindung zu Alltagserfahrungen
Denn von Hause aus ist der Fuchs in der Gemeinschaft der vielen anderen Tiere des Waldes und Feldes eigentlich ein kluger Überlebenskünstler. Die "Fuchsinformationen", die er an sein Rudel weitergibt, sind einfach: "Ein satter Bauch, ein weiches Fell, die Winter lang, der Tod kommt schnell, das Leben blüht, die Nacht dein Freund, der Wald zum Schutz, der Mensch dein Feind." Doch eines Tages beginnt ein schleichender Prozess. Er vergisst das eine oder andere, bis er sich in seiner Welt nicht mehr allein zurecht findet. Er verwechselt die Wochentage, verlernt die Jagdtechniken und verirrt sich auf dem Nachhauseweg. Anschaulich, behutsam, voller Wärme und sehr berührend erzählt diese Kinderoper von dem Schicksal eines alten kranken Fuchses, der nur überlebensfähig bleibt, weil ihn die Gemeinschaft stützt und ihm trotz Persönlichkeitsverlustes Geborgenheit bietet.
Ein Abenteurer, der schusselig wird, Dinge verlegt, maßlos Süßigkeiten in sich hineinstopft, auch sonst die Kontrolle über seinen Alltag verliert und damit für launige Zwischenfälle sorgt – das gefällt der jungen Zielgruppe dieses Bilderbuchs, das die Oper für sich entdeckt hat. In vielen Details schafft Autor Baltscheit eine Verbindung zu den Alltagserfahrungen seiner kindlichen Leser, die vielleicht ihre Oma oder ihren Opa in solchen Situationen wiedererkennen, und bringt ihnen auf eine verständliche Weise nah, wie sich der Fuchs angesichts seines mentalen Verfalls fühlt.
Komponist geht sein Auftragswerk mit Humor an
Der Librettist "zeichnet" dessen Verwirrtheit ebenso wie eine gewisse Selbstvergessenheit, wenn der Fuchs versonnen mit seinem Spiegelbild in einem Bach kommuniziert. Und dann wieder das Stocken und Innehalten: "Ich bleibe stehen und weiß nicht, warum. Wo ist mein Haus, wo soll ich hin?", singt der alte Fuchs fassungslos, dass man Mitleid bekommen und ihn an die Hand nehmen möchte. Erstrecht, als er sich von einer heranhechelnden Hundemeute bedroht sieht, mit der er sich eine Verfolgungsjagd liefert, und seinen Widersachern nur knapp entkommt. Als er auf der Flucht vor ihnen von einem Baum fällt, bringen ihn die jungen Füchse nach Hause und heilen seine Wunden. Nur seinen Verstand, so singen Marco, Anna und Lionel hingebungsvoll, den können sie nicht heilen. Aber aufpassen, ihn beschützen und wärmen – das wollen sie.
Dass der Komponist Johannes Wulff-Woesten – von der Oper Köln eigens mit der Umsetzung der Textvorlage in Musik beauftragt – sein Werk mit Humor angeht, zeigen die gezielt eingestreuten Zitate aus Stücken, die man selbst aus Kindheitstagen kennt: zum Beispiel aus "Peter und der Wolf"‘ oder "Ich wollt‘ ich wär ein Huhn" von den Comedian Harmonists. Sogar der "Bolero" klingt an und eindringlich ein von der E-Orgel begleiteter Kirchenchoral, der unmissverständlich die "Location" des Sonntagsgottesdienstes illustriert. "Aber dann ging er an einem Mittwoch in die Kirche", berichtet der Erzähler dazu, "und wunderte sich, dass der Chor der Gänse nicht sang." An anderer Stelle heißt es: "Neulich hatte ein Freund Geburtstag und er hatte kein Geschenk für ihn. Oder er hatte ein Geschenk dabei und keiner hatte Geburtstag."
Demenz-Symptome werden in Gestik und Mimik übersetzt
Beschämend sind diese "Ausfälle" für den alten Fuchs, der alle Facetten seiner Erkrankung authentisch durchlebt – ein Kompliment an das schauspielerische Talent der jeweiligen Protagonisten Matthias Hoffmann und Julian Schulzki: Denn hier wird die ganze Bandbreite möglicher Symptome schonungslos in Gestik und Mimik übersetzt, wenn der alte Fuchs aggressiv und traurig ist, hilflos und wütend, zerstreut und ängstlich-verstört. Oder wenn er – in hellen Momenten – sich dankbar zeigt für Zuwendung, Beschwichtigung und Trost. Am Ende ist es die Familie, die eigenen Kinder, die den alten Fuchs in seiner zunehmenden Verwirrtheit auffangen und die ihn davor schützen, dass ihm der Verlust des eigenen Verstandes nicht zum Verhängnis wird.
"Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor" ist eine einfühlsame Geschichte mit Tiefgang, die sich aber nicht ausschließlich nur an Kinder richtet. Denn das ernste Thema "Vergesslichkeit und Demenz" wird zwar pointenreich und kurzweilig mit sehr amüsanten Elementen angereichert, auf die die Kleinen begeistert anspringen, deren Anspielungen aber am ehesten Erwachsene durchschauen. Zweifelsohne sendet das Stück in seiner feinsinnigen Ausgestaltung und Interpretation die Botschaft, dass sich mit der Auflösung des Verstands das Leben zwar dramatisch verändert – vor allem auch für die anderen – auf der Haben-Seite aber dennoch schöne Erfahrungen stehen können, je nach dem, wie Familie und Freunde mit der Erkrankung umgehen. Auch wenn die Autonomie des Betroffenen endet, er mehr und mehr auf Hilfe angewiesen ist – vor allem auf die der Jüngeren und diese nach und nach in die Rolle von Fürsorgern hineinwachsen – kommt mit dieser in allen Bereichen exzellent gelungenen Kinderoper sehr spielerisch ein starkes Statement für soziale Verantwortung als Aufgabe im Miteinander der Generationen daher.