DOMRADIO.DE: Sie loben die Worte von Franziskus in seinem neuen Text "Gaudete et exsultate" zum Teufel – warum trifft der Papst hier den richtigen Ton?
Prof. Dr. Thomas Ruster (römisch-katholischer Theologe an der TU Dortmund): Also mir gefällt, dass er wieder über den Teufel, über das Böse spricht und damit die Religion an ihren beiden Seiten stark macht. Er spricht nicht nur über das Liebe und Gute, sondern auch über das Böse – denn das ist eine Realität und die in Erinnerung zu rufen und sich der zu stellen, das ist auf jeden Fall schon mal ein ganz wichtiger Schritt, den der Papst da in dem Schreiben tut.
Der Teufel ist eine eigenartige Misch-Figur: einerseits ist er wie eine Person, aber er ist auch eine ungreifbare Macht. Diese beiden Komponenten werden in dem Teufelsbild des Papstes zusammengeführt. Das wirkt erstmal widersprüchlich, aber ich glaube so ist es eben auch: einerseits ist er so etwas wie der Vertreter der Macht des Bösen in der Welt und zugleich auch der Verführer dieser Macht, die an uns herantritt und uns zum Bösen hin versucht und wir erliegen oft der Versuchung. Diese Doppeldeutigkeit ist in diesem Teufelsbild sehr gut ausgedrückt.
DOMRADIO.DE: Auffällig ist, dass wir uns oft schwertun, uns das Böse als eine Person vorzustellen. Gleichzeitig gibt es viele Serien und Filme, die den Teufel sehr persönlich, fast menschlich darstellen. Warum sind wir vom Bösen fasziniert und können doch nicht glauben, dass es so etwas wie das personifizierte Böse gibt?
Ruster: Also, ich glaube, dass diese Teufelsvorstellung nach wie vor sehr verbreitet ist, dass sich das viele schon so vorstellen können – wenn auch nicht in dieser schreienden Darstellung wie in dem Film „Der Exorzist“ oder so. Ein Beispiel: für mich ist das Böse etwa in Deutschland in der Firma VW und dem Dieselskandal beheimatet. Denn das finde ich richtig böse, einen Motor herzustellen, der die Umwelt stark belastet und danach noch zu lügen und zu betrügen. Das ist das Böse und das Böse ist vertreten durch die Mitarbeiter. Aber die Mitarbeiter sind nicht das Böse, sondern sie tun es nur. Nicht jeder Mitarbeiter ist ganz und gar böse, er erliegt nur der Versuchung für VW effizient und marktangepasst zu agieren. Dabei wird er böse, aber ist nicht das Böse und diese die Differenzierung ist wichtig und hilft zu verstehen, dass da der Teufel im Spiel ist.
DOMRADIO.DE: Im Moment findet in Rom an einer päpstlichen Universität eine Art Fortbildung für Priester zum Exorzismus statt. Kann man in der heutigen Zeit ernsthaft davon sprechen, dass man mit Gebeten und Weihwasser den Teufel austreiben kann – wie sähe das im Fall von VW aus?
Ruster: Also, Menschen, die sich einem solchen System zur Verfügung stellen und auf Biegen und Brechen für diese Firma arbeiten, auch wenn sie erkennen können, dass die Firma böse ist, sind ja von einem Gedanken besessen - eben von ihrer Corporate Identity mit der Firma, von ihrem Erfolg in der Firma, von den Bilanzen, die sie erreichen wollen. Sie sind dann wirklich richtig besessen davon, sie tun dann Dinge, die sie im vernünftigen Zustand niemals tun würden. Das macht sie böser als sie von Natur aus sind. Davon kann man sie befreien. Das ist ja eine uralte Erfahrung der Menschheit, die auch heute immer noch gilt: diese Befreiung kann die Form eines Exorzismus im eigentlichen Sinne annehmen, aber durchaus auch in Form einer Beratung oder auch durch ein einfaches Gespräch passieren: man muss den Leuten klar machen, dass sie von etwas besessen sind, von etwas, das nicht sie selbst sind und das trotzdem von ihnen Besitz ergriffen hat. Davon können sie sich aber wieder los machen.
DOMRADIO.DE: Bei der besagten Fortbildung für Exorzisten in Rom: was lernen die Priester da wohl?
Ruster: Ja, die werden über das Ritual des Exorzismus unterrichtet werden und darin geübt, damit richtig umzugehen. Denn das ist ja eine sehr verantwortliche Sache: diese Besessenheit kann ja sehr starke Formen annehmen, Menschen können dann gewalttätig werden, wenn sie von Dingen abgebracht werden sollen, die sie so stark besetzt halten. Und man muss ja auch bedenken: Der Exorzismus früher in der Kirche war immer so gewesen, dass man den Teufel oder den Dämon richtig angeherrscht hat: „Im Namen Gottes gebiete ich dir: fahre aus!“ Bei dem neuen Exorzismus-Formular der Kirche wird jetzt viel starker versucht, gleichsam in Milde und Güte dem Dämon zu raten, sich aus einem Menschen zu lösen, man sagt dann Dinge wie: „Das brauchst du ja gar nicht, lass den Menschen doch frei, gib ihm die Freiheit zurück“. Also, das ist ein anderes Verfahren als früher und darin muss man eingeübt werden.
Das Interview führte Dagmar Peters.