Bemerkenswert ist, wie sehr der Protestant Dorst gerade von Seiten der katholischen Kirche wertgeschätzt wird. Sowohl der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch als auch der Kölner Kardinal Joachim Meisner würdigten zu verschiedenen Gelegenheiten sein Werk. Im Jahr 2008 erhielt Tankred Dorst mit seiner Frau Ursula Ehler-Dorst den Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken. Da nannte Zollitsch als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz die beiden "herausragende Dramatiker unserer Zeit". Und bereits 1991 erklärte Meisner, Dorst bezeuge in seinem Werk, dass die Welt nicht so gottlos sei, wie sie oft dargestellt werde. Noch im vorigen September war der Dramatiker so etwas wie der Ehrengast bei einer bischöflichen Tagung zum Verhältnis von Kirche und Theater.
Diese Wertschätzung passt zum gelegentlich Widerborstigen des anspruchsvollen Werkes Dorsts. Einige Arbeiten, nicht nur das Mythenspiel "Merlin oder das wüste Land" mit einer Spieldauer von rund 14 Stunden, gelten als schwer spielbar. Der Autor und Dramatiker stellt letztlich Grundfragen des Individuums, spricht von Zweifel und Suche, beschreibt den Weltzustand oder auch Unschuld und Utopien. Aber er sieht sich nicht in der Rolle und der Lage, "dem Publikum zu sagen, wo es lang geht".
"Theater - das ist der Schmerz"
Er könne es selbst nicht leiden, wenn Theater belehrend wirke, sagt er, und er sei auch kein Prophet. Dorst wandelt, wenn er davon spricht, ein Wort Anton Tschechows ab: "Theater - das sind nicht die Ärzte, das ist der Schmerz." Aber den Schmerz, die Wunde, vielleicht auch die Sehnsucht zuzulassen und auszuhalten, ist schon viel im lauten Kulturbetrieb der Moderne.
Dorst ist er ein "Lebensbeobachter", kein Welterklärer. Sein Lebenslauf steht für Lebensbrüche. Als Siebzehnjähriger wurde er zum Arbeitsdienst, 1944 zur Wehrmacht eingezogen, früh geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Das Zusammenleben im Lager, die Arbeit in Fabriken und auf Farmen bezeichnet der Dramatiker als seine "eigentliche Lehrzeit". Erste Erfahrungen mit dem Theater machte Dorst in einem Münchener studentischen Marionettentheater.
Puppenspieler geblieben
Er ist letztlich Puppenspieler geblieben, der mit bereits vorhandenen Figuren aus Literatur, Theater und Geschichte spielt. Wie in "Ich, Feuerbach" von 1986, einem Stück, das bis heute regelmäßig auf deutschen Bühnen gegeben wird. Es handelt vom Warten eines Schauspielers auf seine nächste, vielleicht seine letzte Chance. Er selbst bezeichnet das Stück als "Kampf um Anwesenheit".
Dorst war, wie er erzählt, mit Max Frisch gut befreundet. Der 2009 verstorbene Regisseur Peter Zadek war ihm "ein lebenslanger Freund".
Aber vor allem nennt er immer wieder seine Frau Ursula Ehler-Dorst. Mit ihr bezeichnet er sich als "die kleinste Gruppe", in der er tätig ist, seit vielen Jahren. Diese "Gruppe" gehört - mit mehr als 40 Dramen, daneben auch zahlreiche Bühnenadaptionen, Filmskripten, Fernsehspielen und Erzählungen - zu den bekanntesten und produktivsten Theaterautoren Deutschlands.
Bis heute schreibt Dorst seine Stücke mit der Hand, "ganz mittelalterlich". Dann tippe er es mit der Schreibmaschine ab. Bei vielen Werken beginnt er mit dem Schluss eines Stücks, "eigentlich geht es vom Ende aus". Aber das Schreiben ist offenbar nicht nur ein Prozess der "kleinsten Gruppe" Tankred Dorst und Ursula Ehler-Dorst. "Die Idee hat einen eigenen Ehrgeiz", sagt er, "sie will zum Leben kommen." An diesem Sonntag wird Dorst 85 Jahre alt.
Der Dramatiker Tankred Dorst wird 85
"Theater, das ist der Schmerz"
Tankred Dorst ist zurückhaltend, wenn er von seinem Bezug zu Religion spricht. Gewiss, er sagt Sätze wie "Ohne Metaphysik bleiben doch nur die Gegenstände, die um einen herumstehen". Doch der im Thüringer Vogtland geborene und seit langem in München lebende Dramatiker und Theaterautor hält sich mit einer expliziten Bestimmung seiner eigenen Religiosität zurück.
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