Warum Kinderlose nicht mehr als Eltern in Pflege- und Rentenversicherung einzahlen sollten

Der falsche Ansatz zur richtigen Zeit?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat vorgeschlagen, dass Kinderlose mehr in die Pflege- und Rentenversicherung einzahlen als Eltern. Wäre das gerecht? Für den Familienbund der Katholiken geht der Vorschlag am Ziel vorbei.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Ist es gerecht gegenüber Kinderlosen, wenn sie mehr in die Pflege- und Rentenversicherung einzahlen sollen?

Ulrich Hoffmann (Präsident des Familienbundes der Katholiken): Ich finde es zunächst einmal gut, dass die Diskussion über die Pflege- und Rentenversicherung wieder in Gang gekommen ist. Ich denke, das Sozialversicherungssystem muss insgesamt familiengerechter werden. Es geht nicht um die höhere Belastung von Kinderlosen, sondern es geht um eine gerechte Belastung von jeder Person, die in Deutschland lebt. Und das heißt eben, dass die Familienkomponente noch stärker Eingang finden muss.

DOMRADIO.DE: Sie sind also nicht dafür, dass Kinderlose mehr belastet werden?

Hoffmann: Nein, es geht um ein familiengerechtes System. Die Sozialversicherungen sind momentan noch weitgehend blind dafür, wie viele Menschen von einem Einkommen leben müssen. Es geht darum, dass Erziehungszeiten, die Eltern leisten und ebenfalls wichtig sind, damit das System funktionieren kann, ebenfalls Berücksichtigung finden und in die Berechnung der Beiträge Eingang finden.

DOMRADIO.DE: Wie könnte denn so ein gerechtes System genau aussehen?

Hoffmann: Momentan haben wir ja die Situation, dass elf Millionen Eltern mit minderjährigen Kindern doppelt in die Sozialversicherungen einzahlen. Neben den Geldbeiträgen, die sie auch abführen, leisten sie einen ebenso wichtigen Erziehungsbeitrag, der bisher nicht berücksichtigt wird. Wie das dann genau ausgerechnet wird - vielleicht gibt es einen Freibetrag, so ähnlich wie im Steuerrecht - wäre dann eine ganz konkrete Umsetzungsfrage. Momentan haben wir hier eine Gerechtigkeitslücke, weil wesentliche Teile, die zum Zustandekommen eines gerechten Systems notwendig sind, nicht berücksichtigt werden.

DOMRADIO.DE: Es klingt ein bisschen wie das gegenseitige Ausspielen, was Jens Spahn da vorgeschlagen hat. Müsste der Staat sich nicht etwas anderes einfallen lassen? 

Hoffmann: Das Ausspielen von Menschen, die Kinder haben, gegen Kinderlose gefällt mir überhaupt nicht. Darum kann es tatsächlich nicht gehen. Die Gerechtigkeitsfrage liegt jenseits davon. Es geht um Gerechtigkeitsfragen und nicht um Bevorzugungen oder Benachteiligungen. Welches System dann gerecht ist, in die Zukunft führen kann und auch zukunftsfest wird, ist sicherlich die spannende Frage.

Ich denke, dass zum Beispiel auch die Rentenkommission im Moment auch überlegt, wie ein System dann auch in der Zukunft gut funktionieren kann. Es wird nur gut funktionieren können, wenn es gerecht ausgestaltet ist.

DOMRADIO.DE: Mal abgesehen davon, ob so ein Vorschlag ethisch oder moralisch gerecht ist: Könnten denn höhere Beiträge für Kinderlose rein finanziell überhaupt das Minus in Renten- und Pflegekassen abfangen?

Hoffmann: Das ist sicherlich eine gute Frage. Die Kommission gibt es ja vor allem deswegen, weil ihr wohl sehr deutlich ist, dass uns ein "einfach nur weiter so" in den Sozialversicherungssystemen an Grenzen führen wird. Da wird dann wahrscheinlich auch eine "Höherbelastung von Kinderlosen", wie es Minister Spahn ausgedrückt hat, das System nicht beheben können.

Wir brauchen stattdessen eine grundsätzliche Neusortierung des Sozialversicherungssystems, das familiengerecht ist und wo auch Finanzierungsfragen noch mal ganz neu verhandelt werden müssen.

DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie denn abgesehen von den Beitragshöhen noch Benachteiligungen von Familien?

Hoffmann: Ich denke, dass wir momentan zu sehr bei Familien an Subventionen dran sind, dass wir Familien unterstützen wollen, aber dass wir auch im Steuersystem durchaus noch Familiengerechtigkeitsfragen zu lösen hätten - etwa auch im Bereich von Besteuerungen. Momentan ziehen Familien eher den Kürzeren. Solche Themen müssten dann ebenfalls noch angeschaut werden. Anreize für ein familiengerechteres System sind immer auch Investitionen in die Zukunft unseres Landes und unserer Gesellschaft.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Gesundheitsminister Spahn / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Gesundheitsminister Spahn / © Rolf Vennenbernd ( dpa )
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DR