Das Evangelium Johannes 10, 27: "Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben", bietet zwei Bilder, erklärte Domkapitular Markus Bosbach. Das Lamm und der Hirte seien für die damalige Zeit ganz selbstverständliche Sinnbilder gewesen. Dagegen wirken sie für uns heute in unserer modernen, technisierten Welt eher fremd. "Wann haben Sie zuletzt einen leibhaftigen Hirten gesehen?"
Jesus als Lamm
Das letzte Kapitel im Neuen Testament nennt Jesus als das Lamm gleich 28 Mal. Der Name hat mit dem Sterben Jesu zu tun und mit der Auferstehung am Ostermorgen. Jesus war Mensch geworden und Gefühle waren ihm nicht fremd. Er war traurig, wütend und empfand Freude. "Doch nie hat er sich mit einem Panzer geschützt gegen das, was an ihn herankam – am wenigsten gegen Menschen." Gewalt hat er nicht mit Gegengewalt beantwortet.
Er war demütig, hat nichts für sich gefordert, "um Gott und die Menschen ging es ihm und darum, dass beide zueinander finden". Gegenüber der Kleingläubigkeit und Begriffsstutzigkeit der Aposteln zeigte sich Jesus geduldig. "Der Ostermorgen und die Auferstehung ist ein einziges Zeichen der Geduld, Demut und Verletzlichkeit. Das sind Gründe genug, um zu sagen: Wie ein Lamm war er."
"Christus als Lamm, Gott als Lamm, das Lamm als die Ikone des Geduldigen, des wartenden, des verletzlichen Gottes, des solange Wartenden, bis auch der Letzte zu ihm gefunden hat." Jedem ist die Zeit gegeben, seinen Weg zu finden. Diese Zeit kann man vertun, aber sie ist gegeben, damit sie ausgeschöpft werde.
Jesus als Hirte
Das Lamm steht in direktem Zusammenhang mit dem geläufigeren Jesus-Titel "Hirt". Deshalb heißt es im Evangelium: "Das Lamm wird die große Schar weiden und zu den Quellen des Wasser des Lebens führen." So ungewöhnlich und einzigartig hütet Gott.
Bei der Kommunion schenkt er sich uns an jedem Sonntag. Er will Gemeinschaft mit uns haben, damit wir uns von ihm führen lassen können. Bitten wir Gott, dass wir in der Nachfolge des Lamms auf dem Weg der Geduld, der Verletzlichkeit, letztlich auf dem Weg der Liebe bleiben.
"Bitten wir den Herrn heute an diesem Sonntag auch, dass er viele Berufe, dass sie ihr Leben in den Dienst der Nachfolge des guten Hirten stellen, damit viele Menschen den Weg finden zu dieser wunderbaren Quelle des Lebens und der Liebe."
Das Evangelium
"Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben." (Joh 10,27)
Impuls zum Evangelium des vierten Sonntags der Osterzeit (Joh 10,27–30)
„Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen“, bezeugt der 23. Psalm. Dieser Psalm, sein festes Gottvertrauen, hat schon viele Menschen getröstet und aus Dunkelheit geholt. Dass Gott selbst mein guter Hirte ist, diese Gewissheit macht mich nicht schwach, sondern stark. Sie bremst mich nicht aus, sondern bringt in Bewegung. Sie hält mich nicht davon ab, Verantwortung für mein Leben zu übernehmen, sondern macht mir den Mut, den es dazu braucht. Mein Hirt ist Gott der Herr. Er ruft mich und alle Menschen aus Zwängen und Ängsten heraus, er holt uns aus den engen Zellen, in die man uns gesteckt haben mag, aus Sackgassen, in die wir uns selbst hineinmanövriert haben, und in denen wir feststecken. Mein Hirt ist Gott der Herr. Darum bin ich gerufen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, Leid und Unrecht und Orientierungslosigkeit nicht auf sich beruhen zu lassen, und anderen Menschen, die mich brauchen, Hirte und Hirtin zu sein. Mein Hirt ist Gott der Herr. Jesus hat es mit Leib und Seele gespürt. Jesus hat so gelebt, bis zuletzt. „Ich und der Vater sind eins.“ Gott ist der Geber, Jesus ist die Gabe. Darum kann er mein Hirte sein.
Aus: Magnificat. Das Stundenbuch. Mai 2019