DOMRADIO.DE: Herr Wagener, eine Reise in den Himalaya hat 1997 Ihr Leben verändert. Was Sie dort gesehen und erlebt haben, war bis zu diesem Zeitpunkt für Sie nicht vorstellbar. Daraufhin haben Sie 2002 mit einem Team aus Ihrer ehemaligen Pfadfinderjugend in Bensberg die BONO-Direkthilfe gegründet. Was ist das für eine Initiative?
Gereon Wagener (Vorsitzender des BONO-Direkthilfe e. V.): Die BONO-Direkthilfe ist eine Organisation, die gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution von Mädchen und Frauen kämpft und sich für deren Rechte einsetzt. Weltweit sind über 21 Millionen Menschen Opfer der modernen Sklaverei. Die Ausmaße von Unterdrückung und Ausbeutung sind verheerend. Gerade Kinder und Frauen sind davon in hohem Maße betroffen. Sie werden meist unter falschen Versprechungen von attraktiven Jobangeboten angelockt und dann zur Prostitution gezwungen. Das Geschäft mit der Handelsware Mensch boomt und ist weltweit – nach Drogen- und Waffenhandel – die drittgrößte Einnahmequelle der organisierten Kriminalität. Der Name "BONO" ist abgeleitet von dem lateinischen Wort "bonum", das Gute. Viel wichtiger jedoch ist der zweite Teil des Namens, die "Direkthilfe", weil wir garantieren, dass unsere Hilfe unmittelbar bei den Menschen ankommt. Besonders wichtig ist die 100 Prozent-Garantie unseres Vereins, mit der wir uns dafür verbürgen, dass jede Spende eins zu eins für die Projekte unserer Partnerorganisationen und unsere Öffentlichkeitsarbeit gegen Menschenhandel verwendet wird.
DOMRADIO.DE: Was war für Sie denn der Auslöser, die BONO-Direkthilfe zu gründen?
Wagener: Bei meiner ersten Reise nach Nepal kam ich im November 1997 bei Maiti Nepal, einer Organisation, die wir bis heute unterstützen, in Kontakt mit der 14-jährigen Jeena, die in ihrem jungen Alter bereits mit Tuberkulose, Hepatitis und HIV infiziert war. Auf meine Frage, wie so etwas möglich sein kann, erfuhr ich von Anuradha Koirala, der Gründerin der Organisation, dass Jeena bereits fünf Jahre lang zur Prostitution gezwungen worden war. Für mich überschritt dies damals das Maß des Vorstellbaren. Und ich spürte sofort, dass ich nicht einfach weitermachen konnte wie bisher – ich war damals in einer Unternehmensberatung tätig –, sondern aktiv mithelfen wollte, etwas gegen den menschenverachtenden Handel mit Kindern zu tun. Das Schicksal von Jeena hat mich tief berührt. Kurz nach meiner Rückkehr nach Deutschland gründete ich zunächst die Initiative "Hilfe für Maiti Nepal" und 2002 zusammen mit Michael Müller-Offermann, einem Freund und ehemaligen Pfadfinderkollegen, den BONO-Direkthilfe e.V., den wir bis heute gemeinsam mit anderen engen Freunden aus der Jugendarbeit und einem engagierten BONO-Team leiten.
DOMRADIO.DE: Ich vermute, von Mädchen wie Jeena gibt es im asiatischen Subkontinent zigtausende…
Wagener: Jedes Jahr werden bis zu 15.000 Mädchen aus Nepal nach Indien verschleppt. Ähnliches gilt für Bangladesch. Schätzungen zufolge leben in Indien mehr als drei Millionen Mädchen und Frauen in der Prostitution. Die Realität in den Rotlichtvierteln Indiens, wohin die Mädchen verschleppt werden, ist grausam und menschenunwürdig. Viele hausen in engen, stickigen und dreckigen Räumen – oft ohne Tageslicht und eingepfercht wie Tiere hinter Gittern. 20 bis 30 Freier am Tag sind die Regel, was für die Mädchen nichts anderes bedeutet, als 20 bis 30 Mal am Tag vergewaltigt zu werden.
Vielen Mädchen werden Hormone gespritzt, um sie widerstandsfähiger zu machen und körperlich reifer erscheinen zu lassen. Außerdem machen sich die Bordellbesitzer die Ängste der Mädchen zunutze und setzen sie unter Druck. Beispielsweise wenn sie schwanger werden – Safer Sex mit Kondomen ist ja oft kein Thema – zwingen sie sie entweder zur Abtreibung, die oftmals ohne medizinische Unterstützung erfolgt. Oder aber sie lassen die Mädchen, die ja oft selbst noch ein Kind sind, ihr Baby austragen, um es dann als Druckmittel zu benutzen. Spätestens wenn eine Mutter mit dem Zugriff auf ihr Kind erpresst wird, ist jeder Widerstand gebrochen.
DOMRADIO.DE: Was meinen Sie, wenn Sie von "Mädchen" sprechen?
Wagener: Meist sind es Kinder oder junge Frauen im Alter von 14 bis 18 Jahren. Doch oft auch darunter. Das jüngste Mädchen das befreit wurde, war gerade einmal acht Jahre alt. Die Nachfrage nach immer jüngeren Mädchen steigt wegen der Angst vor einer möglichen Infektion mit HIV/AIDS oder anderen Geschlechtskrankheiten. Das heißt, die Zuhälter können für diese Kinder, die oft in die fünf Sterne-Hotels der indischen Metropolen geschickt werden, entsprechend höhere Preise aushandeln. Wer zahlt, dem wird geliefert – so perfide sich das anhört, so menschenverachtend ist es auch.
Der Schwerpunkt der BONO-Direkthilfe liegt daher in der Prävention des Mädchenhandels in den Herkunftsländern. So unterstützen wir Aufklärungskampagnen in abgelegenen Regionen, in Schulen und Fabriken, bei denen die Menschen über die verbrecherischen Machenschaften der Menschhändler informiert werden. Wir unterstützen Kontrollstationen an der Grenze von Nepal zu Indien, wo Personal unserer Partnerorganisation, oftmals Frauen, die selber einmal verschleppt wurden, jedes Fahrzeug nach möglichen Opfern des Menschenhandels durchsucht. Darüber hinaus ist Bildung ein ganz wichtiges Thema, um betroffenen Kindern und Frauen die Chance auf ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu geben.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch selbst vor Ort mitgeholfen. Was genau haben Sie gemacht?
Wagener: Von 1999 bis 2006 habe ich selbst in Kathmandu gelebt und war in dieser Zeit für eine Reihe von Baumaßnahmen verantwortlich, wie zum Beispiel dem Bau eines Rehabilitations- und Schutzzentrums, einer integrativen Sozialschule mit Therapiezentrum für Kinder mit Behinderung, einer Klinik und einem Hospiz. Alle diese Einrichtungen konnten wir gemeinsam mit anderen Unterstützerorganisationen innerhalb unseres Netzwerks realisieren. Die bekanntesten von ihnen sind das Kindermissionswerk "Die Sternsinger", BILD hilft e.V. "Ein Herz für Kinder" oder auch die Sonja Kill Stiftung aus Bergisch Gladbach.
DOMRADIO.DE: In den Projektländern arbeiten Sie mit Partnerorganisationen zusammen, ohne die Ihr Engagement vermutlich auch nicht funktionieren würde. Ist dieser Ansatz erfolgreich?
Wagener: Ja. Denn wir unterstützen nur Partnerorganisationen, die wir persönlich kennen und denen wir vertrauen. Auf diese Weise garantieren wir direkte und unbürokratische Hilfe. Der Wille und die Initiative, sich für Menschen im eigenen Land einzusetzen, zeichnen diese Organisationen aus. So ist das Engagement vor Ort wirksam und nachhaltig.
Die Erfolge unserer Partnerorganisationen sind beachtlich und beweisen, dass unsere Hilfe kein Tropfen auf den heißen Stein ist. Seit Bestehen der BONO-Direkthilfe konnten fast 40.000 Mädchen und Frauen an der Grenze abgefangen und damit vor einer Verschleppung bewahrt und über 5.600 Mädchen und Frauen aus der Zwangsprostitution und den Händen von Zuhältern befreit werden.
DOMRADIO.DE: Wie kann man Ihre Arbeit unterstützen?
Wagener: Natürlich sind Spenden sehr hilfreich und willkommen. Doch noch wichtiger ist, dass unser Engagement gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution bekannter wird. Daher sind wir besonders dankbar für Menschen, die in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis über unsere Arbeit berichten. Wer sich selbst aktiv gegen Menschenhandel einsetzen möchte, kann bei uns Mitglied werden. Um unsere Arbeit langfristig und nachhaltig abzusichern, haben wir 2015 die Stiftung BONO-Direkthilfe gegründet. Denn es steht fest, dass die Problematik des Menschenhandels auch in Zukunft existieren und eher immer noch größer werden wird.
Ganz wichtig ist uns dabei, die nächste Generation möglichst frühzeitig in unsere Arbeit einzubinden. Dafür gibt es seit diesem Jahr die Initiative "BONO-Kids", die konkrete Projekte und Unterstützungsmöglichkeiten für die junge Generation entwickelt. Viele denken, sie könnten nichts verändern in dieser Welt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Jeder von uns kann einen Beitrag zur Bekämpfung von Ungerechtigkeit und Gewalt leisten. Wenn ein Mädchen verschleppt wird, wenn eine junge Frau vergewaltigt wird, wenn ein Mensch missbraucht wird, dürfen wir nicht schweigen. Unser Motto lautet daher: nicht wegschauen, sondern hinsehen; nicht zögern, sondern handeln.
DOMRADIO.DE: Zufall oder auch nicht: Sie haben am Gedenktag des Heiligen Nikolaus Geburtstag und sind in einer Nikolaus-Gemeinde groß geworden. Hat man da eine besondere Beziehung zu diesem Heiligen?
Wagener: Mein soziales Wertegefüge ist neben meinen Eltern sicherlich maßgeblich durch die Pfadfinder und mir wichtige Menschen in meiner Bensberger Heimatgemeinde St. Nikolaus geprägt worden. Darüber hinaus bin ich sehr dankbar, dass ich Menschen wie Anuradha Koirala, die Gründerin von Maiti Nepal, und Triveni Acharya, Gründerin der Rescue Foundation, einer anderen wichtigen Partnerorganisation der BONO-Direkthilfe, kennenlernen durfte, die mein Leben in besonderer Weise bereichert haben. Es sind diese Begegnungen, die ein Leben wertvoll machen – wie auch die mit Jeena vor über 20 Jahren in Kathmandu.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.
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