Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery wird 85 Jahre alt

"...am Leben bleiben, bis der Frieden kommt

Der in Deutschland geborene Israeli Uri Avnery wird am Mittwoch 85 Jahre alt. Avnery, Klassenkamerad des langjährigen "Spiegel"-Herausgebers Rudolf Augstein, war zehn Jahre Abgeordneter der Knesset, des israelischen Parlaments, und arbeitete als Journalist und Herausgeber. Er hat etliche Bücher zum Nahost-Konflikt veröffentlicht. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der bekannte Friedensaktivist über den Friedensprozess, die Rolle Europas und über seinen Geburtstagswunsch

Autor/in:
Johannes Zang
 (DR)

KNA: Herr Avnery, wie schätzen Sie die aktuelle politische Lage ein, nachdem Ministerpräsident Ehud Olmert seinen Rücktritt erklärt hat?
Avnery: Es sieht sehr schlecht aus. Die Chancen für den Frieden sind jetzt äußerst negativ. Denn wir haben ja keine wirkliche Regierung. Im Herbst wird höchstwahrscheinlich eine neue Regierung kommen.

KNA: Was ist Ihr Wunsch an die europäische Politik, um diesen festgefahrenen Verständigungsprozess zwischen Israelis und Palästinensern wieder in Bewegung zu bringen?
Avnery: Sich viel mehr für den Frieden einzusetzen und Druck auf beide Seiten auszuüben. Amerika unterstützt vollkommen einseitig die schlimmsten Elemente in Israel. Europa ergreift aus Feigheit überhaupt keine Initiative im Nahen Osten, weil es die amerikanische Vorherrschaft im Nahen Osten anerkennt. Europa hat schon vor vielen Jahren abgedankt. Das hat mal ein deutscher Außenminister ganz klar gesagt: «Wir können nichts tun. Wir sind machtlos.» Um sein Gewissen zu beruhigen, gibt Europa Geld für die Palästinensische Behörde, Geld, das vollkommen nutzlos ist; es bleibt irgendwo bei der palästinensischen Oberschicht stecken. Was ausschlaggebend ist: Die israelischen Siedlungen im Westjordanland werden erweitert, und dadurch wird der Frieden täglich noch schwieriger, als er schon ist.

KNA: Könnte Druck auf Israel nicht einen gegenteiligen Effekt haben und das Land weiter nach rechts abdriften lassen?
Avnery: Ganz im Gegenteil. Wenn internationale Anerkennung für Friedensbestrebungen und für Friedenskräfte in Israel ausgesprochen wird, dann wird das den Respekt für die Friedensbewegung und die moralische Kraft der Friedensbewegung stärken.

KNA: Was könnte Deutschland konkret tun?
Avnery: Es gibt eine große Anzahl von Organisationen, die sich um den Frieden bemühen, darunter die Bewegung, zu der ich gehöre: Gush Shalom, der Friedensblock, der der politische Leuchtturm für die Friedensbewegung ist. Europa könnte eine Menge tun, um die friedlichen Elemente auf beiden Seiten zu unterstützen - durch Initiativen auf europäischem Boden, auf deutschem Boden, aber auch im Nahen Osten. Ich habe schon seit langer Zeit nichts mehr davon gehört. Früher gab es in Europa und in Deutschland alle möglichen Friedensinitiativen, Konferenzen für den Frieden, meinungsbildende Aktionen. All das ist irgendwie eingeschlafen. Das macht mich ziemlich traurig.

KNA: Sie sprechen von friedlichen Elementen auf beiden Seiten.
Hierzulande meinen jedoch nicht wenige Deutsche, dass gar keine Friedensbewegung auf palästinensischer Seite existiert.
Avnery: Das ist vollkommen unsinnig. Denn die Palästinensische Behörde selbst ist eine Friedensbewegung. Seit Jassir Arafat in den 70er Jahren für die Zwei-Staaten-Lösung eingetreten ist, ist die palästinensische Führung darauf bedacht, diese Zwei-Staaten-Lösung in die Wirklichkeit zu überführen. Arafat hat in Oslo - das wird meistens übersehen - mit einem Federstrich 78 Prozent des Landes Palästina, wie es bis 1948 bestanden hat, aufgegeben. Arafat hat seit 1974 konsequent eine Friedenspolitik betrieben. Arafat war der ideale Partner, weil er die Führungskraft hatte, nicht nur einen Frieden zu unterschreiben, sondern auch sein Volk dazu zu bringen, den Frieden zu akzeptieren.

KNA: Nun neigt sich die Amtszeit von Arafats Nachfolger Mahmud Abbas langsam dem Ende zu...
Avnery: Seine Politik war immer einfach. Ich kenne ihn beinahe 40 Jahre. Er war immer klar für den Frieden. Sein ganzes Programm ist für den Frieden. Seine einzige politische Aktivität ist eine Friedensaktivität. Er verhandelt mit Israel, obwohl die Verhandlungen gegenstandslos sind.

KNA: Warum sind sie das?
Avnery: Nicht, weil die Palästinenser nicht wollen, sondern weil gewisse Kreise in Israel nicht am Frieden interessiert sind. Sie sind nicht interessiert, weil Frieden unbedingt bedeutet, dass die Siedlungen im Westjordanland abgezogen werden. Und wir haben leider keine Führung, die Zivilcourage hat, das zu veranlassen. Die Siedler und ihre Anhänger sind eine kleine Minderheit, aber eine sehr gewalttätige und sehr starke Minderheit. Und die Regierung hat Angst vor einer Konfrontation. Das geht schon jahrelang so. Darum hat keine Regierung den Mut, zu einem Frieden zu kommen.

KNA: Viele Israelis meinen jedoch, israelische Regierungen hätten alles für den Frieden getan. Es habe nur am palästinensischen Partner für Verhandlungen gefehlt.
Avnery: Es ist auf beiden Seiten schwierig. Aber natürlich hängt es von uns ab, weil wir die Eroberer und Besatzer sind. Da wir bei weitem die stärkere Seite sind, nicht eins zu zwei, nicht eins zu zehn, sondern eins zu tausend - wenn nicht mehr - hängt es von uns ab, ob Frieden zustande kommt oder nicht. Die israelische Politik in den vergangenen zehn Jahren will keinen vereinbarten Frieden, weil der vereinbarte Frieden dazu führen wird, dass Israel die besetzten Gebiete aufgeben muss.

KNA: Was wünschen Sie sich zum bevorstehenden Geburtstag?
Avnery: Frieden, Frieden, Frieden. Ich habe beschlossen, am Leben zu bleiben, bis der Frieden zustande kommt. Ich möchte es erleben.