"Schließt den ANC und die Regierung in eure Gebete ein. Denn auch ihr habt erkannt, dass die Dinge nicht gut stehen." Vor Tausenden Anhängern der einflussreichen "Shembe Church" hat Südafrikas Vizepräsident Cyril Ramaphosa jetzt um himmlische Hilfe für seine Partei gebeten. Der Name "Afrikanischer Nationalkongress" ist gleichbedeutend mit Emanzipation. 1994 führte er mit Nelson Mandela Südafrika in die Demokratie. Jetzt droht die älteste Freiheitsbewegung Afrikas jedoch zu implodieren.
"Der ANC wird regieren, bis Jesus zurückkommt", hatte Jacob Zuma seinen Unterstützern nach seinem Amtsantritt 2009 versprochen. Bis heute scheint sich nach Meinung von Südafrikas Staatspräsident wenig am Format der Partei geändert zu haben. Eine Krise sei weit entfernt, beharrt er. Anders sehen das nicht nur Politologen, denen zufolge die frühere Freiheitsbewegung bei den Wahlen 2019 erstmals die absolute Mehrheit verlieren könnte. Selbst etliche ANC-Vertreter haben die dunklen Wolken erkannt, die sich vor Nelson Mandelas Regenbogen schieben.
Kirchen, Konzerne, Aktivisten
Die Jubelrufe von 1994 sind verstummt. Abgelöst wurden sie von Pfeifen und Buhrufen wütender Demonstranten, die bei Massenprotesten in den vergangenen Wochen Zumas Rücktritt forderten. Der angeschlagene Staatschef sieht sich einer enorm breiten Opposition gegenüber: Kirchen, Konzerne, Aktivisten und Gewerkschaften fordern seinen Abgang.
Das Fundament des ANC ist die verarmte Arbeiterschicht - umso kräftiger war jetzt die Ohrfeige bei Zumas traditioneller Rede anlässlich des 1. Mai. Die Menge tobte, bis die Veranstaltung schließlich abgebrochen und der Präsident abziehen musste. Zumas Antwort: Dies sei gesund für eine Demokratie.
Präsident und Diktator
"Der Präsident steht kurz davor, ein Diktator zu werden", warnt ANC-Veteran Mathews Phosa. Vor allem die jüngste Neubesetzung des Kabinetts zeuge von einer aufziehenden Alleinherrschaft: Im April hatte Zuma fünf Minister, darunter den beliebten Finanzminister Pravin Gordhan, entlassen. Die Landeswährung Rand fiel drastisch. Zwei Ratingagenturen stuften Südafrika auf Ramschniveau herab.
Der ANC verteidigte Zuma wie bei etlichen Skandalen zuvor. "Der ANC wird sich selbst auffressen, wenn er so weitermacht", sagt Südafrikas Hochschulminister und Kommunistenführer Blade Nzimande. Seine Partei hat die ANC-Führung stets unterstützt. Jetzt wolle man aber nicht länger zusehen, wie sich die Schwesterpartei "selbst zerreißt". Korruption und Elitedenken haben den ANC vielen entfremdet. Das Ende der einst glorreichen Revolutionspartei bedeutet das aber noch nicht.
Sieg des Zuma-Lagers
Als richtungsweisend gelten die ANC-Wahlen zu Jahresende, die einen neuen Parteiführer hervorbringen - und höchstwahrscheinlich den nächsten Präsidenten des Landes. Spitzenkandidaten sind Vizepräsident Ramaphosa sowie Zumas Ex-Frau Nkosazana Dlamini-Zuma. Beide bringen Referenzen mit: Ramaphosa als Gewerkschaftsführer und Großunternehmer, Dlamini-Zuma als Ministerin und Vorsitzende der Afrikanischen Union (AU).
Jedoch fürchten Experten, dass Südafrika unter Dlamini-Zuma dieselbe kompromisslose Politik bevorsteht wie unter ihrem früheren Mann. "Zuma will den ANC durch seine Ex-Frau weiter kontrollieren. Jeder Südafrikaner sollte über einen Sieg des Zuma-Lagers besorgt sein", meint der Politologe Elvis Masoga. Hoffnung setzt er in Ramaphosa, der als gemäßigter Denker gilt und die dringendsten Probleme der Südafrikaner kennt.
Doch es ist mehr als ein Kampf zwischen zwei politischen Schwergewichten. Die Regierungspartei ist gespalten wie nie zuvor. Das zeigte sich nicht zuletzt, als selbst ranghohe ANC-Führer Zumas jüngste Regierungsumbildung als "unglücklich" und "inakzeptabel" kritisierten. Sechs ANC-Abgeordnete gaben ihre Parlamentssitze auf. Und Zumas Vorgänger, Ex-Präsident Thabo Mbeki, pocht auf Reformen, denn: "Niemand sollte mehr Macht haben als das Volk." Sowohl der Vizepräsident als auch Zumas Ex-Frau leugnen Präsidentenambitionen. Allerdings stünden sie für das Rennen bereit, "wenn die Partei sie braucht". Der Kampf um die Seele des ANC hat begonnen - und damit um Südafrikas nahe Zukunft.