Der Katholik Andrea Riccardi wird Minister in Italien

Der Versöhner

Vermittlung zwischen gesellschaftlichen und kulturellen Gruppen gehört unablösbar zur Lebensgeschichte von Andrea Riccardi. Italiens designierter Ministerpräsident Mario Monti hat den Gründer der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio zum Minister ernannt. Riccardi soll sich besonders um Fragen der internationale Zusammenarbeit und Integration kümmern. Das signalisiert einen Kurswechsel.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Auguren hatten damit gerechnet, Andrea Riccardi werde in Italiens Übergangsregierung das Amt des Kulturministers übernehmen. Doch jetzt erhält er als Minister ohne Portofolio eine Sonderzuständigkeit, die durchaus zu seinem bisherigen Profil passt.

Der Gründer der katholischen Gemeinschaft Sant"Egidio soll sich im Kabinett von Ministerpräsident Mario Monti besonders um internationale Zusammenarbeit und Integration kümmern. Sant"Egidio gehörte zu den Kritikern der Ausländer- und Integrationspolitik unter Silvio Berlusconi.



Direkter Draht zu Johannes Paul II.

Vermittlung zwischen gesellschaftlichen und kulturellen Gruppen gehört unablösbar zur Lebensgeschichte von Andrea Riccardi. 1950 in Rom geboren, sammelte er noch als Schüler im bewegten Jahr 1968 Gleichgesinnte um sich, um christlichen Glauben und gesellschaftliches Engagement zu verbinden. In der Folge engagierte sich Sant"Egidio, wie die Gruppe nach ihrer Stammkirche im Stadtteil Trastevere hieß, mehr als jede andere zeitgenössische geistliche Bewegung im politischen Raum. In Afrika und Europa wirkte sie erfolgreich als Friedensvermittler; sie lancierte weltweite Kampagnen zur Abschaffung der Todesstrafe oder zur besseren medizinischen Versorgung von Aids-Kranken.



Unter Johannes Paul II. (1978-2005) fand der Netzwerker Riccardi auch einen direkten Draht zum Papst und dessen nächster Umgebung. Mit dem charismatisch-politischen Polen im Petrusamt verband ihn die Überzeugung, dass der Glauben politische Systeme friedlich überwinden kann. Johannes Paul II. vertrat die Ansicht, dass es ohne Frieden zwischen den Religionen keinen Frieden in der Welt geben könne. Das von ihm initiierte Treffen der Religionen in Assisi 1986 war die sichtbare Frucht dieses neuen Denkens - und Riccardi verstand es, diesen "Geist von Assisi" auch über das Pontifikat von Johannes Paul II. weiter zu tragen.



Wechselseitige Anerkennung

Auch mit Papst Benedikt XVI. hat Riccardi Gemeinsamkeiten - allen voran wohl die Betonung der Einheit von Glauben und Vernunft. Für Riccardis ökumenisches und interreligiöses Engagement ist dies ein wichtiger Ausgangspunkt. Der erfahrene Vermittler legt Wert darauf, dass die Konfliktparteien ihre je eigenen Identitäten und Interessen nicht in faulen Kompromissen zudecken, sondern wechselseitig anerkennen. Solche Sichtweisen könnten für Europa in seiner gemeinsamen Außenpolitik gegenüber der islamischen Welt schon bald ebenso bedeutsam werden wir in einer Innenpolitik, in der kulturell-religiöse Konfliktlinien nicht mehr zu übersehen sind.



Wie komplex das Feld unterschiedlicher Kulturen und Traditionen ist, kann Riccardi auch von akademischer Warte darlegen: Im Hauptberuf lehrt der 61-Jährige Geschichte des Christentums und Religionsgeschichte an der staatlichen römischen Universität "Roma Tre". Mit seinem Werben für ein geeintes und doch offenes Europa überzeugte Riccardi auch das Vergabekomitee des Aachener Karlspreises. 2009 erhielt er die renommierte Auszeichnung, die sonst eher herausragenden Politikern zugedacht wird. Die Namen von Winston Churchill, Vaclav Havel, Valerie Giscard d"Estaing und Angela Merkel finden sich unter früheren Preisträgern.



Wissenschaft, Glaube und gesellschaftliches Handeln

Riccardis Leben stehe für eine "tiefe Verbindung von Wissenschaft, Glauben und gesellschaftlichem Handeln", würdigte damals der ehemalige Europaparlamentspräsident Pat Cox in seiner Laudatio den italienischen Historiker. Der soziale Einsatz stehe "in kraftvollem Gegensatz zum selbstbezogenen Zynismus", der zur globalen Wirtschaftskrise geführt habe. Das wiederum wirkt fast prophetisch im Blick auf die Situation Italiens, in der Riccardi jetzt, zwei Jahre später, sein politisches Amt antritt.