Der Katholikentag in Mannheim stellt sich dem Thema Missbrauch

Vertrauen zurückgewinnen

Mehr als zwei Jahre nach Bekanntwerden der ersten Fälle versucht der Mannheimer Katholikentag, eine Bilanz zu ziehen. Das bisher Geleistete sehen Opfer erst als "Anfang". Auch für den Missbrauchsbeauftragten der Bischofskonferenz, Bischof Stefan Ackermann, ist "das Thema nicht durch".

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Dies zeigt sich bei vielen Veranstaltungen des Christentreffens.  Immer wieder kommen die Verbrechen und der damit verbundene massive Vertrauensbruch zur Sprache. Missbrauch wird nicht mehr verleugnet und nicht mehr beschönigt. Zum Lernprozess gehört, von der Perspektive der Opfer auszugehen.



Entsprechend steht ihr Schicksal am Anfang des Gesprächs auf dem Podium: Die Erfahrung des 14-jährigen Schülers Katsch, der 1977 Opfer von zwei Jesuiten wird; trotz mehrerer Strafversetzungen missbrauchen sie immer neue Schutzbefohlene. Und die bitteren Erlebnisse von Cordula Stiller. Sie muss miterleben, wie ein Oberministrant von Pfarrer wie Pastoralassistentin geschützt wird, obwohl der ihren Sohn und weitere Kinder missbraucht hat. Selbst nach einer Verurteilung bleibt er zunächst im Gemeinderat. All dies geschieht 2004, als bereits die kirchlichen Leitlinien gelten.



Die Demütigung und Machtlosigkeit verschlägt Stiller noch immer fast die Stimme. Wichtig ist für sie, dass jemand dem "Unerhörten" zuhört. Katsch spricht vom "zweiten Verbrechen" - jenem der Institution, die durch Verdrängen und Vertuschen das erste Verbrechen ermöglicht habe: ein "Täterschutzprogramm", wie er es nennt. Den Betroffen bleibt "Scham und Schuldgefühl", sie empfinden "Ohnmacht mit einer hintergründigen Wut" und das "lebenslange Gefühl der Überwältigung".



Genau dieses Machtgefälle zwischen Opfer und Institution ist für ihn nicht aufgearbeitet; man sei auf "halbem Weg stehen geblieben". Die Bilanz ist für Katsch "schal", die Vergebungsbitten seien "stumpf", weil sie oft nicht zu Opfern, sondern in Kameras gesprochen worden seien. Katsch verlangt eine unabhängige Untersuchungskommission:  "Man hat es den Tätern schon verdammt leicht gemacht."



Ackermann verweist auf Forschungsvorhaben, die die Bischöfe in Auftrag gegeben haben, um weitere Fälle zu verhindern. Und er erwähnt viele Bemühungen, von verschärften Leitlinien bis zu Missbrauchsbeauftragten. In jedem Falle gibt es kein Zurück mehr, das macht der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki auf einem anderen Podium deutlich. Er zeigte sich dankbar über die Aufdeckung des Missbrauchs: Wo Unrecht geschehe, müsse es öffentlich benannt werden.



Dennoch bleiben Fragen. Ackermann musste dies vor Wochen in der eigenen Diözese erfahren. Strittig ist, ob man die "Null-Toleranz"-Linie der USA fahren will, also jeden straffälligen Geistlichen für immer suspendiert. Oder ob man Tätern Aufgaben zuteilt, bei denen sie keinen Kontakt mit Minderjährigen mehr haben - sofern Experten sie für "ungefährlich" einstufen. Offen ist für Ackermann, ob nicht selbst in diesem Falle die Glaubwürdigkeit beschädigt ist. Anderseits bleibe der Täter bei einer Weiterbeschäftigung unter sozialer Kontrolle.



Ebenso schwierig ist der Umgang mit Opfern. Wo Katsch der Kirche Untätigkeit vorwirft, verweist Ackermann auf den "Respekt des Opferwillens". Viele wollten nicht erneut mit dem Erlebten konfrontiert werden. Es sei schwierig, einen angemessenen Weg zwischen Transparenz, Information der Öffentlichkeit und einem respektvollen Umgang mit Betroffenen zu finden.



Mehrfach spricht Ackermann von einem "Dilemma", und wiederholt bittet er um eine differenzierte Sicht, um den Menschen gerecht zu werden. Die Bischöfe versuchten, all dies bei der angestrebten Erneuerung der Leitlinien zu berücksichtigen, verspricht er. Auf dem Katholikentag geht es erst einmal darum, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. Schon dies ist mehr als schwierig.