Filmwissenschaftlerin Kleiner über Alfred Hitchcock

Der katholische "Kontrollfreak"

Vor 40 Jahren starb der britisch-amerikanische Regisseur Alfred Hitchcock, vor 100 Jahren stieg er ins Filmgeschäft ein. Thriller wie "Die Vögel", "Psycho" oder "Marnie" haben Kultstatus. Ein Interview mit Filmwissenschaftlerin Felicitas Kleiner.

Alfred Hitchcock (M.) bei Dreharbeiten zu dem Film "Marnie" von 1964 / © akg-images GmbH (epd)
Alfred Hitchcock (M.) bei Dreharbeiten zu dem Film "Marnie" von 1964 / © akg-images GmbH ( epd )

KNA: Frau Kleiner, Alfred Hitchcock wuchs als Katholik in London auf - hat das seine Karriere in irgendeiner Weise beeinflusst?

Felicitas Kleiner (Redakteurin bei filmdienst.de, einem der wichtigsten Portale für Kino- und Filmkritik): In seinem berühmten Interview mit dem Filmemacher wollte Francois Truffaut genau das von Alfred Hitchcock wissen: ob man ihn einen "katholischen Künstler" nennen könnte.

KNA: Was hat er geantwortet?

Kleiner: Um eine eindeutige Antwort hat er sich herumgedrückt; er fand die Frage schwierig. Als katholischen Filmemacher sah er sich wohl nicht, räumte aber ein, dass ihn der Katholizismus und seine religiöse Erziehung geprägt haben. Wenn man sich Hitchcocks Filme anschaut, hat man jedenfalls den Eindruck, dass repressive religiöse Moralvorstellungen ihre Spuren hinterlassen haben und eine wichtige Reibungsfläche abgeben: Da geht es immer wieder um schuldhafte Verstrickungen, um Verdrängtes und Unterdrücktes, auch um unterdrückte Sexualität.

KNA: In "Ich beichte" ist ein Priester, verkörpert durch Montgomery Clift, die Hauptfigur...

Kleiner: Der arme Mann gerät ohne eigenes Verschulden in eine schwierige Lage - er wahrt das Beichtgeheimnis eines Mörders, der ihm seine Tat gestanden hat, und das selbst dann noch, als er selbst unter Mordverdacht gerät. Also eine erstaunlich charakterstarke Figur.

KNA: Im Jahr 1939 siedelte Hitchcock von England in die USA über - inwiefern hat sich das auf seine Art des Filmemachens ausgewirkt?

Kleiner: Einen klaren inhaltlichen oder stilistischen Bruch vermag ich nicht zu erkennen. Er ist nach Hollywood gegangen, weil die dortige Filmindustrie ihm größere Ressourcen bot und er mehr Möglichkeiten sah, seine Ideen zu verwirklichen.

KNA: Wie ging es weiter?

Kleiner: Zunächst hatte Hitchcock Schwierigkeiten. Vor allem wegen Spannungen mit "Vom Winde verweht"-Produzent David O. Selznick, der ihn in die USA geholt hatte. Hitchcock selbst war, wenn es um seine Filme ging, ein absoluter Kontrollfreak. Das hat ihn sein Leben lang immer wieder in Konflikt mit Produzenten gebracht. Dank seiner Erfolge gab es jedoch auch Projekte, bei denen er ziemlich freie Hand hatte - vor allem ab 1953, als er beim Studio Paramount unter Vertrag ging und künstlerische Freiheit garantiert bekam. In dieser Zeit entstanden Klassiker wie "Das Fenster zum Hof" und "Über den Dächern von Nizza".

KNA: Welches Erbe hinterließ der Regisseur Hitchcock?

Kleiner: Über 50 Spielfilme, von denen die meisten ziemlich gut gealtert sind heute noch genauso ein Faszinosum darstellen wie zu ihrer Entstehung. Außerdem kann man von Hitchcock lernen, sich auf Entwicklungen des Mediums Film einzulassen; er hat sich immer wieder neue technische Möglichkeiten des filmischen Erzählens angeeignet. Noch in England vollzog er den Sprung vom Stumm- zum Tonfilm. In den USA hatte er dann keine Scheu, von Schwarzweiß- auf Farbfilm umzusteigen, experimentierte, wenn auch widerwillig, in "Bei Anruf Mord" mit dem damals neuen 3-D-Film und schrieb neben Kino- auch Fernsehgeschichte mit einer eigenen Serie.

KNA: Gern wird Hitchcock "Meister des Suspense" genannt.

Kleiner: Er verstand es bestens, Szenen zu entwickeln, bei denen man vor Spannung förmlich in den Sitz gebannt ist, und spielte dafür unglaublich souverän auf der Klaviatur, die das Medium Film bietet: kluge Dramaturgien, ungewöhnliche Kameraperspektiven und Montagesequenzen, dazu ein Gespür für Musik schufen Meilensteine der Filmgeschichte. Außerdem hat er dem Suspense-Genre immer wieder neue Facetten abgewonnen, vom Psychothriller über Krimikomödien und Spionagefilme bis zum Tier-Horror.

KNA: Welche drei Filme von Hitchcock sollte der Kinofreund auf jeden Fall gesehen haben?

Kleiner: Mit einer Auswahl tue ich mich schwer. Ich fange mal mit "Das Fenster zum Hof" an.

KNA: Mit James Stewart als Fotoreporter, der wegen eines Beinbruchs nicht aus seiner Wohnung herauskommt und Augenzeuge eines Verbrechens in einem gegenüber liegenden Appartement wird...

Kleiner: In die Situation des eingeschlossenen Reporters kann sich der Zuschauer gerade in Quarantäne-Zeiten gut hineinversetzen. Als Filmkritikerin fasziniert mich natürlich, wie Hitchcock Schaulust und Voyeurismus inszeniert - auf kompaktem Raum und mit großer Raffinesse.

KNA: Empfehlung Nummer 2?

Kleiner: Wären "Die 39 Stufen", ein Frühwerk von 1935. Hier verknüpft Hitchcock einen Spionagethriller mit Elementen der romantischen Komödie. Sehr elegant! Als dritten Film würde ich "Der unsichtbare Dritte" vorschlagen mit dem Dream-Team Hitchcock und Cary Grant in Aktion und ikonischen Verfolgungsszenen. Vor allem, als Cary Grant zu Fuß vor einem Flugzeug flieht, das Gift versprüht. Das ist ganz großes Kino!

Das Interview führte Joachim Heinz.


Felicitas Kleiner, Redakteurin beim katholischen Portal filmdienst.de / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Felicitas Kleiner, Redakteurin beim katholischen Portal filmdienst.de / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
KNA