Der Maler Arno Rink über die Sinnsuche eines Ungetauften

Der Welthumanismus und der Faktor Mensch

Der Maler Neo Rauch und der Papst-Porträtmaler Michael Triegel zählen zu seinen Schülern. Doch Arno Rink, von 1987 bis 1994 Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, ist vor allem selbst Maler. Der preisgekrönte Künstler über das Leben im System DDR und die Sinnsuche eines Ungetauften.

Arno Rink / © Bernd Wüstneck (dpa)
Arno Rink / © Bernd Wüstneck ( dpa )

KNA: Herr Professor Rink, in der DDR waren Sie hoch angesehener Künstler. Wie weit durfte da die Sinnfrage gehen?

Rink: Malerei, Kunst überhaupt ist immer Sinnfrage. Und die Frage nach Sinn - das ist immer eine existenzielle Frage, das ist die Existenzfrage. Im System der DDR hatten wir idealistischerweise etwas vorgehabt mit der Malerei. Wir wollten den Menschen erreichen. Man kann ja - unabhängig vom Bildungsgrad - Bilder den Menschen nahebringen, sie mit Kunst erreichen. Der Künstler an sich ist ja kein moralisierendes Wesen, aber er hat Verantwortung für Bilder.

KNA: Schon in den 1970er Jahren gibt es bei Ihnen einzelne Anklänge an christliche Ikonographie. Wie kam es dazu?

Rink: Da gab es keinen Vorsatz, es fing ganz harmlos an. Die alten Meister der Malerei, die traditionell klassische Malerei wurde - anders als die moderne zeitgenössische Kunst - in der DDR ja gezeigt und verlegt. Die Bilder hingen in Dresden und in allen Museen der DDR. Ich sehe mir gern diese Bilder an, immer wieder, auch heute noch. Und wir sind - schon aus kunsthistorischem Interesse - immer wieder in Kirchen gewesen. Man lernt da stets viel über das hervorragende Handwerk, die inhaltlichen, stilistischen Hürden christlicher Kunst, aber auch den Gebrauch und die Lesart christlicher Ikonographie. Diese Darstellungen sind oft erfüllt von großer Grausamkeit, aber es erschreckte einen überhaupt nicht, außer unsere Tochter.

KNA: Inwiefern?

Rink: Sie konnte wegen einer solchen Darstellung bis zum 25. Lebensjahr kaum eine Kirche betreten. Ich hatte, als sie klein war, eine Verspottung Jesu unterm Kreuz gemalt. Auf Bitten meiner Frau, die während ihres Studiums an der Uni Leipzig eine Arbeit über das typologische Chorgestühl des Merseburger Domes schrieb und der aufgefallen war, dass das Motiv der Verspottung unter dem Kreuz sehr selten in der christlichen Kunst auftauchte. Und auf diesem Bild trägt - Sakrileg hin, Sakrileg her - der Gekreuzigte meine Gesichtszüge. Meine Tochter hat mir erst viele Jahre später erzählt, wie fürchterlich das für sie war. Immer wenn wir auf unseren kunstgeschichtlichen Entdeckungstouren in Kirchen eine Kreuzigungsszene sahen, hat sie fast einen Schreikrampf bekommen.

KNA: Zu DDR-Zeiten war das Thema kein Problem?

Rink: Das Kuriose ist, dass wir es nicht als problematisch gesehen haben. Bei mir wurde da schon des öfteren gesagt: Der mit seinem Welthumanismus... Ich hatte also nicht den Humanismus der Arbeiterklasse, was immer das auch sein mag. Letztlich hat das kommunistische Ideal den Faktor Mensch immer außer acht gelassen, aber die Sinnsuche der Malerei kommt eben auf und über den Menschen.

KNA: Inwiefern ist Kirche für Sie mehr als ein Raum für Kunst?

Rink: Ich habe generell große Probleme mit Institutionen. Ich habe in die Institution, in das Gefüge einer Partei zu sehr hineingeschaut. Und hinter anderen hierarchischen Institutionen wittere ich immer die gleiche Struktur. Aber wenn ich mich zwischen katholisch und evangelisch entscheiden sollte, würde ich mich für katholisch entscheiden.

KNA: Wieso?

Rink: Das ist auch eine Frage der Lust am Sehen. Ich bin Atheist, nicht getauft, bin sozusagen nichts. Aber ich bete seit gut 20 Jahren. Ich bete mit einer direkten Ansprache. Nicht regelmäßig, aber in Abständen. Es geht mir besser mit diesem... diesem Versuch eines Zwiegesprächs. Mir geht es dabei nicht um ein naives Klischee: Gott, der mit dem weißen Bart, und so.

KNA: Sie sind krebskrank. Wird dieses Gespräch damit ernster?

Rink: Es wird generell mit dem Alter ernster. Aber den Einschnitt gab es bereits durch die Geburt unseres ersten Kindes, unseres Sohnes. Das war eine Erfahrung, die Spuren hinterlassen hat. So etwas lässt keinen Menschen unberührt. Gespräche hier in Leipzig zu Fragen des Glaubens mit einem Dominikanerpater waren sehr gut.

KNA: Wie sehr hat der Künstler das Verlangen, das wahre Bild zu malen?

Rink: Das absolut wahre Abbild des Bildes gibt es ja nicht. Da hat jeder seins, auch Triegel, auch Rauch. Oder nehmen Sie die wunderbare Pieta von Villeneuve-les-Avignon - wenn ich die sehe, könnte ich heulen. Letztlich muss jeder Künstler sein Abbild finden. Bei Malewitsch war es vielleicht auch einfach nur das schwarze Quadrat.

KNA: Ausgerechnet dieses Bild?

Rink: Es ist, könnte man sagen, ein Portrait, die individuellste und ehrlichste Form eines Abbildes. Aber generell gilt: In seinem Wirkungskreis hat jeder Künstler den Anspruch, das für sich glaubwürdigste Abbild zu schaffen. Immer mit dem Zusatz "für sich". Der Kampf um die konkrete Form ist dann harte Arbeit, aber diese Form ist wiederum Schöpfung. Und manchmal hat man so eine Erleuchtung, die einem sagt, wie großartig es ist, so gestalten zu können.

KNA: Markus Lüpertz hat mal gesagt, Künstler seien wie Engel, die Gehilfen Gottes...

Rink: Ich mühe mich hier ab, und der olle Markus Lüpertz bringt das so auf den Punkt. Ein Engel ist glücklicherweise für alle Menschen ein Wesen, dem man vertraut, dem man zugewandt sein kann.

KNA: Haben Sie, haben all die Biskys, Triegels, Rauchs es mit Bezügen auf christliche Ikonographie leichter als westliche Künstler? Weil sie nicht so einen Rucksack an Tradition haben?

Rink: Ja, möglicherweise ist da etwas dran. Doch den Rucksack der Tradition tragen wir ebenso. Wir gehen nicht fahrlässig, sondern frei und in eigener Entscheidung und immer nur aus unserer Situation heraus an diese Dinge heran. Die hohe Form, die Qualität ist da Voraussetzung. Unerträglich ist, dass viele Dinge so schlecht gemacht sind.

KNA: Wie ist denn für Sie Kirche als Auftraggeber?

Rink: Zu DDR-Zeiten wollte das evangelische Gustav-Adolph-Werk von mir zwei Blätter für eine Jahresgabe. Als ich meinen Entwurf, eine Dornenkrönung, vorlegte, kam der Chef des Gustav-Adolph-Werkes und sagte: Herr Rink, das geht nicht. Die hatten vorher religiösen Kitsch, die wollten wieder Kitsch. Man passt da als Künstler schwer rein. Die Administration schreckt also ab. Aber im Hinterkopf habe ich immer noch eine Kreuzigung. Denken Sie an Lovis Corinth, "Christus vor Pilatus". Eine späte Arbeit von ihm, mit nichts gezeichnet. Nur noch das dringend Nötigste. Aber ein faszinierendes Bild.

Das Gespräch führte Christoph Strack.


Quelle:
KNA