Der Maler Jacques Gassmann über neue Kunst und alte Bilder

"Zeitgenossenschaft erkennbar machen"

Seit bald einem Jahr findet sich von Jacques Gassmann ein modernes Kreuzigungsbild im Würzburger Neumünster - einem der bemerkenswerten Kirchenräume zwischen klassischer und moderner Kunst in Deutschland.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

KNA: Herr Gassmann, seit wenigen Monaten ist im Würzburger Neumünster Ihr Bild des Gekreuzigten zu sehen, über einer knapp 300 Jahre alten Skulptur einer Grablegung. Was verbinden Sie mit der Arbeit?
Gassmann: Ich habe über der bronzenen Grablegung ein zerfließendes Kreuzigungsbild gemacht, einen Körper ohne Kreuz, der sich nach unten regelrecht auflöst, sowohl im Farb- als auch im Bildraum verschwindet. Er strebt also hinauf. Damit wird er auch wieder zu etwas Präsentem, etwas Aufstrebendem und fast wieder Auferstehendem.

KNA: Neue Kunstwerke in altehrwürdigen Kirchenräumen - was kann das beim Betrachter erreichen?
Gassmann: Es geht darum, die jeweilige Zeitgenossenschaft in den Raum der Kirche einzubeziehen, gerade in Zeiten der Renovierung im 21.Jahrhundert.

KNA: Wie gehen Besucher mit so einem Kirchenraum dann um?
Gassmann: Die Mehrheit ist sichtlich erstaunt. Man ist überrascht und auch sichtlich erfreut, dass diese Zeitgenossenschaft endlich wieder im Kirchenraum erkennbar ist anhand der Arbeiten lebender Künstler, die durchaus Renommee haben. Die dort ihren Beitrag mit einbringen und damit ja letztlich nicht nur diesen Raum gestalten, sondern auch für die christliche Gemeinschaft und den Dialog werben.

KNA: Derzeit ist in einer weiteren Kirche bei Würzburg von Ihnen eine Darstellung des Laurentius zu sehen. Welche Bedeutung hat der christliche Reichtum an Motiven, diese Traditionsgeschichte für einen bildenden Künstler?
Gassmann: Die Bibel und unsere gesamte abendländische Kultur sind voll von Symbolen, Allegorien und Themen, die uns eigentlich beschäftigen und nur aus der Mode gekommen scheinen. Der Kirchenraum ist sehr geeignet, uns wieder zum Staunen und Wiederfinden zu führen. Ein Beispiel ist neben Laurentius auch die Gestalt des Johannes. Er geht in die Wüste, um dort zu meditieren, sich selbst zu finden. Das passt wunderbar zu heutigen Selbstfindungsphasen und zu moderner Harmoniesuche. Was mancher im Wellness oder in fernöstlicher Meditation sucht, steckt längst in weltlichen oder biblischen Überlieferungen und in unserer eigenen Kultur.

KNA: Sie sind selbst von Haus aus in einem sehr kirchlichen Umfeld aufgewachsen, kann man davon sprechen, dass Sie das stark in Bezug auf die Kirchenmalerei prägte?
Gassmann: Sicher spielte die Kirche eine große Rolle in meinem Leben. Ich bin in Frankreich in einem sehr musikalisch geprägten Umfeld groß geworden, im Elsass mit seinem Wein und seiner Sinnlichkeit. Ich würde sagen, dass dies vorrangig meine künstlerischen Fähigkeiten prägte. Doch gehört die Kirche heute zu meinen wertvollsten Auftraggebern. Ich finde dort auch genau die passende Stimmung wieder, das Zelebrierende, Respektvolle, den sensiblen Umgang mit Kunst.

KNA: Vor knapp 20 Jahren schufen Sie einen Apokalypse-Zyklus. Dazu veranlasste Sie damals der erste Irakkrieg. Nun wollen Sie die Apokalypse 2010 in Würzburg inszenieren. Warum ist die Apokalypse - siehe zuletzt Roland Emmerich im Film - heute immer noch so aktuell?
Gassmann: Das Thema ist eigentlich in jeder Form präsent. Damals waren es die brennenden Ölfelder in Kuwait. Da kündigte dann der blasse Tagesschausprecher 30 Jahre Verdunkelung in Deutschland an. Heute sind es die diversen Naturkatastrophen. Auf irgendetwas vertraut der Mensch doch und hofft, dass man es überlebt. Insofern ist der apokalyptische Gedanke überall. Es geht im biblischen Gesang des Johannes letztlich um den Übergang in eine neue Ebene, eine neue Dimension, die Auflösung von Erde, Himmel und jeglicher Materialität vor dem Thron Gottes, den Kampf auf Erden und im Himmel. Letztlich beschreibt die Apokalypse deutlich die Selbstzerstörung der Menschen, ihre Raffgier und Selbstherrlichkeit. Hochaktuell.

KNA: Wenn die Medien von Weltuntergangsstimmung oder apokalyptischen Bildern sprechen, ist das dann Verdrängung oder eine konkrete Rückbesinnung?
Gassmann: Da wird schon verdrängt. Denn zugleich bauen die Medien ja immer eine Distanz auf. Es gibt eine Nachrichten-Distanz, als würden wir hier über andere Planeten sprechen. Es ist eine Mischung aus Informationsaustausch und Ohnmacht, aber keine Reaktion. Das ist eigentlich ähnlich wie in der Apokalypse. Das antike Rom, das Babylon bläht sich immer weiter auf, man bereichert sich, will auf der Gewinnerseite sein, sein Heil finden, seinen Ort. Von daher bekommt aber auch Religiosität im Sinne eines "Ich will gerettet sein, ich will geschützt sein" einen neuen Ort - obwohl die Auseinandersetzung mit der wirklichen Thematik der Apokalypse nicht vorhanden ist. Bislang sehen die meisten darin immer noch eher einen Coppola-Film mit knatternden Hubschraubern und großen Explosionen als eine Revelation, eine Enthüllung im Sinne des biblischen Textes.

KNA: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wie sollte Kirche mit dem Bild der Moderne umgehen?
Gassmann: Viele Menschen suchen Religion inzwischen in anderen Räumen, wie zum Beispiel den Theatersälen oder Veranstaltungshallen statt in den Gotteshäusern. Deshalb sollte Kirche wieder in den Dialog treten und wieder die Orte sozusagen zurechtrücken. Was gibt es Schöneres als Räume der Kontemplation und Meditation, in denen man der Kunst begegnet! Ohne in einem Raum zu sein, der dem Konsum dient oder rein kulturell hermetisch ist. Ein normaler, für jeden Menschen zugänglicher Ort, der der Musik, dem Bild, der Ikonographie, der Sprache auf einem offenen hohen Niveau Raum lässt. Und Künstler - dafür gibt es doch genug aktuelle Beispiele - sind bereit, sich da einzubringen.

KNA: Sollte die Kirche mutiger auf zeitgenössische Künstler zugehen?
Gassmann: Ja natürlich, zum Teil wartet die Kulturszene doch darauf. Themen wie Werte, Gnade, Nächstenliebe oder auch Selbstaufgabe haben in Theaterstücken oder Literatur wieder sehr viel Bedeutung. Diese Begriffe sind - anders als vielleicht vor zehn Jahren - nicht mehr "uncool", man kann sie wieder in den Mund nehmen.

Das Gespräch führte Christoph Strack.