KNA: Herr Stückl, haben Sie denn das Aus für die Passionsspiele 2020 schon verdaut?
Christian Stückl (Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele): Ja, es war schon bei der letzten großen Probe am 8. März klar, dass uns das Projekt auseinanderfällt, wenn die Entwicklung so weitergeht. Es kamen immer mehr Absagen, weil sich Leute einfach nicht mehr getraut haben. Da wurde es mir selbst mulmig. Denn mit Angst kann man im Theater schlecht proben. Vernünftige Arbeit ist unmöglich, wenn jeder darauf bedacht ist, Distanz zu halten und dem anderen aus dem Weg zu gehen.
KNA: Die Verschiebung unter dem Druck der Pandemie war also unausweichlich?
Stückl: Die Entscheidung war hart für uns, aber letztlich ging es nicht anders. Stellen Sie sich vor, wir müssten in der aktuellen Lage jeden Tag - über mehr als 100 Vorstellungen hinweg - 4.500 Zuschauer aus aller Welt zu uns holen. Das geht nicht. Zu einer solchen "Lex Oberammergau" wäre die Staatsregierung in Bayern ohnehin nicht bereit gewesen. Wichtig war mir, dass wir keine reine Absage formuliert, sondern gleich einen neuen Termin bekanntgegeben haben.
KNA: Es gibt noch eine andere Inszenierung, die durch die Corona-Krise bedroht ist: die Osterfeiern mit dem Papst. Was raten Sie als Experte? Wie kann Franziskus ohne Publikum und trotz aller Einschränkungen für wirkmächtige Bilder sorgen, die Gläubigen weltweit Hoffnung geben?
Stückl: Ostern kann man nicht verschieben. Das macht die Sache kompliziert. Aber der Papst kann die Herausforderung meistern. Ich habe ihn am Freitagabend beobachtet, als er völlig allein auf dem Petersplatz den Segen "Urbi et Orbi" gespendet hat. Das war ein ganz neues starkes Bild, das seine Wirkung sicher nicht verfehlt hat.
KNA: Was hat Sie daran beeindruckt?
Stückl: Er hat trotz aller Widrigkeiten signalisiert: Ich bin da, ich halte die Stellung hier auf dem Platz, auch wenn ich sie ganz allein halten muss. An diese Dramaturgie sollte er bei den Osterfeierlichkeiten anknüpfen. Dann kann die Inszenierung gelingen. Insgesamt muss ich allerdings sagen, dass die Kirche zurzeit einen besonders schwierigen Stand hat.
KNA: Welche Schwierigkeiten sehen Sie?
Stückl: Wenn für einige Wochen keine Theateraufführungen stattfinden, mag das eine kulturlose Zeit sein. Ich kann sie wenigstens nutzen, um mich neu zu sortieren und nachzudenken. Die Kirche hingegen steht vor dem Problem, dass die Leute gerade jetzt in der Krise Seelsorge ganz dringend brauchen. Da sind Gottesdienste auf Distanz, die nur im Fernsehen oder im Internet übertragen werden, nicht ausreichend. Etliche Pfarrer versuchen, den Menschen über das Telefon beizustehen. Aber wo richtige Nähe notwendig ist, ist auch das kein gleichwertiger Ersatz.
KNA: Sie haben schon erwähnt, dass viele Aktivitäten des kirchlichen Lebens ins Internet verlagert wurden. Ich nehme an, Sie als Mann des leibhaftigen Theaters überzeugt das nicht wirklich, oder?
Stückl: Da haben Sie recht. Ich habe neulich mal in einen Online-Gottesdienst hineingezappt. Das kann man schon mal machen. Doch am Ende wird das zu wenig sein. Wir haben in Deutschland das Grundproblem, dass wegen des Priestermangels sowieso viel zu wenig kirchliche Seelsorge stattfindet. Die einzelnen Priester mögen als Hirten unterwegs sein, aber man sieht sie kaum noch. Und in der jetzigen Situation, die geradezu nach Seelsorge schreit, kommen Kontaktverbote und Ausgangssperren hinzu. Das finde ich ganz schwierig.
KNA: Sind Sie ein Befürworter oder Gegner der geltenden Seuchenschutzmaßnahmen?
Stückl: Ich bin gespalten. Die Vernunft sagt im Augenblick, man sollte das durchhalten. Andererseits spürt man deutlich: Allzu lange ist das nicht mehr zu ertragen.
Das Interview führte Alexander Pitz.