domradio.de: Wie erleben Sie die Lage aktuell? Ist es sehr angespannt?
Szyrokoradiuk: Ja, aber nicht so wie früher. Wir haben die schwierigste, die angespannteste Lage schon hinter uns. Das Schwierigste war in Kiew. Jetzt in der Ostukraine ist es ein lokales Problem.
domradio.de: Die Halbinsel Krim hat für einen Beitritt zur russischen Föderation gestimmt. Haben Sie die Befürchtung, dass das mit der östlichen Ukraine auch passieren wird?
Szyrokoradiuk: Nein. Ich hoffe, nein, weil auf der Krim eine ganz andere Situation besteht. Dort lebten viele, viele Russen. Über 50 Prozent der Bevölkerung auf der Krim hatten einen russischen Pass, und jetzt bekommen viele Ukrainer ebenfalls einen russischen Pass. Das heißt, die Krim war immer sehr pro-russisch, es gab einen großen russischen Einfluss. Aber in der Ost-Ukraine stimmt das nur teilweise. Und deshalb ist diese gleiche Methode nicht mehr als ein Versuch. Russland möchte das alles so machen wie auf der Krim, aber ich glaube, dass das nicht funktioniert. Nur ein Teil der Bevölkerung unterstützt diese Politik. Andere stellen sich gegen Putin und möchten die Unabhängigkeit von Russland.
domradio.de: Das, was hier in Deutschland bei Vielen ankommt, ist, dass die Ukraine ein gespaltenes Land ist, zwischen pro-europäischen und pro-russischen Kräften. Sehen Sie das auch so? Ist die Ukraine gespalten?
Szyrokoradiuk: Das stimmt. Aber das Verhältnis ist nicht fifty-fifty. Vielleicht sind es 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung der östlichen und südlichen Ukraine, die zu Russland wollen. Aber über 70 oder sogar 80 Prozent der ukrainischen Bevölkerung möchte nach Europa. Das ist ein großer Erfolg: Erst vor zehn Jahren war es noch umgekehrt. Heute ist der überwiegende Teil der ukrainischen Bevölkerung eine andere.
domradio.de: Sie sind Präsident der Caritas-Spes, also einer Hilfsorganisation. Werden die Probleme im Land größer? Gibt es Armutsprobleme durch diese Spannungen?
Szyrokoradiuk: Ja, leider, vor allem durch die große Inflation, eine ungewöhnlich große Inflation. Wir haben eine Sozialstation in Kiew. Und besonders jetzt, nach den Protesten auf dem Maidan, ist sie voll. Viele Leute kommen und brauchen einfach Lebensmittel. Wir packen viele Lebensmittelpakete, Kleidung, Schuhe, alles, was gebraucht wird, medizinische Hilfe. Wir bekommen auch Spenden von verschiedenen Wohltätern, kaufen davon Medikamente und verteilen sie in unseren Zentren. Und noch etwas: Viele brauchen jetzt auch psychologische Hilfe. Viele Verletzte und Andere, die diese schwierige Situation erlebt haben, brauchen psychologische Hilfe. Und das wird noch dauern. Ich denke, mindestens noch ein oder zwei Jahre werden die Menschen darauf angewiesen sein.
domradio.de: Herr Weihbischof, Sie haben in einem Interview gesagt, die Heiligsprechung von Johannes Paul II. in knapp zwei Wochen sei ein Hoffnungszeichen. Warum sehen Sie das so?
Szyrokoradiuk: Weil der Papst 2001 in der Ukraine war und dort etwas angestoßen hat. Viele Leute verstanden nach dem Gottesdienst mit dem Papst, nach seiner Predigt, was er gesagt hat: "Ich sehe die Ukraine als europäisches Land." Und das ist bei unserer Bevölkerung sehr gut angekommen. Natürlich haben die Leute auch verstanden, was diese Worte des Papstes bedeuten. Deshalb denke ich, sein Gebet, sein Segen für unser Land bedeutet viel für uns. Heute beten wir auch und wir brauchen seine geistliche Unterstützung aus dem Himmel. Ich glaube, sein Besuch in der Ukraine hat eine große Rolle gespielt.
Das Gespräch führte Matthias Friebe.