Dem sowjetischen Diktator Josef Stalin wird das Spottwort zugeschrieben, der Kommunismus passe zu Polen wie ein Reitsattel auf eine Kuh. Zumindest soweit wird er mit dem glühenden Antikommunisten Stefan Wyszynski einer Meinung gewesen sein. Doch hätte derselbe Stalin, der einst höhnisch fragte, wie viele Divisionen denn der Papst habe, wohl gestaunt, was ein Papst aus Polen dann in den 1980er Jahren mit dem Kommunismus anstellte.
Neue Hoffnung für die polnische Kirche?
Kardinal Wyszynski hatte prophezeit, sein junger Amtsbruder Karol Wojtyla werde einst "die Kirche ins 21. Jahrhundert führen". Er behielt Recht; Wojtyla wurde zu Papst Johannes Paul II. (1978-2005) und später sogar heiliggesprochen. Nun folgt ihm am 12. September der polnische Primas Wyszynski (1901-1981) in den Stand der Seligkeit.
Wegen der Corona-Pandemie war die Zeremonie in Warschau verschoben worden. Bei der vom neuen Präfekten der vatikanischen Heiligsprechungskongregation, Kardinal Marcello Semeraro, geleiteten Feier wird auch die polnische Ordensgründerin Elzbieta Roza Czacka (1876-1961) seliggesprochen. Kirchenvertreter hoffen, dass der vom Missbrauchsskandal derzeit stark angeknackste Katholizismus in Polen durch das Gedenken an einen ihrer Giganten neue Hoffnung schöpfen kann.
Seelsorger der Untergrundarmee
Wyszynski war von 1948 bis zu seinem Tod der höchste Würdenträger der Kirche in Polen. 1924 zum Priester geweiht, lehrte er zunächst Kirchenrecht und Soziologie in Wloclawek. Während der deutschen Besatzung war er Seelsorger der Untergrundarmee und versteckte wiederholt verfolgte Juden.
Pius XII. ernannte Wyszynski 1946 zum Bischof von Lublin und im November 1948, nach dem Tod von Kardinal August Hlond, zum Erzbischof von Warschau und Gnesen und damit zum Primas von Polen. Auf dem Höhepunkt der kommunistischen Kirchenverfolgung wurde Wyszynski 1953 inhaftiert und erst 1956 wieder freigelassen. Seine Wurzeln hatte er in der traditionellen ländlichen Frömmigkeit der Polen - und in der felsenfesten Überzeugung der Einheit von Nation und Katholizismus.
Wyszynski sah in Wojtyla harmlosen "Dichter"
Wyszynski war ein politischer Fuchs und besaß ein sicheres strategisches Gespür. Doch bei einem lag er zunächst sehr falsch: dem jungen Karol Wojtyla. Lange hatten sich die Kommunisten Zeit gelassen, um einen - in ihren Augen - geeigneten, nicht zu "politischen" Bischofskandidaten für Krakau auszuwählen. In Wojtyla, Jahrgang 1920, sahen sie einen intellektuellen Schöngeist, der keinen Ärger macht. Ein Urteil, das sie mit Wyszynski teilten; der hielt ihn, etwas ratlos, für "einen Dichter".
Wojtyla war keineswegs Wyszynskis Wunschkandidat. Doch der junge Krakauer zeigte sich ihm gegenüber sehr loyal - zum Ärger der Kommunisten, die gehofft hatten, durch ihre Unterschiedlichkeit einen Keil zwischen die beiden treiben zu können. Der gelernte Schauspieler und Schriftsteller Wojtyla konnte die Jugend begeistern. Und er konnte auch jene städtische Intelligentsia mit der Kirche als oppositioneller Kraft verbünden, denen der bodenständige Wyszynski eher misstraute.
Der Kampf gegen den Kommunismus einte die beiden Kirchenführer trotz aller Unterschiede. Ihre Strategie war nicht offene Konfrontation mit dem Regime, sondern Wahrhaftigkeit und Beharrlichkeit. Wie sein Krakauer Pendant nahm auch Wyszynski an allen Sessionen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) teil. Doch anders als Wojtyla mied der Primas kirchliche Neuerungen, um nicht das Band zwischen Kirche und Volk zu gefährden.
Wyszynski startete Versöhnungsprozess mit Deutschland
Wojtyla kämpfte vor allem mit den Waffen des Intellektuellen, mit Zuhören, Diskutieren und Ausloten. Die Formulierung der Religionsfreiheit durch das Konzil gab ihm ein ähnliches Dynamit in die Hand wie später die KSZE-Schlussakte von Helsinki: Religionsfreiheit als positives Menschenrecht, das man einfordern kann. Deshalb konnte Wojtyla beim Konklave 1978 viele Stimmen aus den USA und Westeuropa auf sich vereinen, während Wyszynski nicht zum die Blöcke übergreifenden "papabile" taugte.
Von historischer Bedeutung ist das unter Wyszynskis Leitung 1965 verfasste "Wort der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Brüder im Bischofsamt", mit dem ein tiefer Versöhnungsprozess startete. Zentral waren die Worte: "Wir vergeben und bitten um Vergebung." Es wirkt bis heute in den deutsch-polnischen Beziehungen fort.
In Polen wird Wyszynski noch immer als "Primas des Jahrtausends" verehrt. Im Hernst 2019 teilte der Vatikan die Anerkennung eines Heilungswunders auf Wyszynskis Fürsprache mit; damit war der Weg zur Seligsprechung frei. Papst Franziskus bestätigte, dass 1988 eine krebskranke junge Frau nach Fürbitte bei Wyszynski genesen sei; sie ist heute 50 Jahre alt.
Festmesse zur Seligsprechung in Warschau
Bei einer landesweit viel beachteten Festmesse in Warschau ist am Sonntag der in Polen als "Primas des Jahrtausends" verehrte Kardinal Stefan Wyszynski (1901-1981) seliggesprochen worden. Der Präfekt der vatikanischen Heiligsprechungskongregation, Kardinal Marcello Semeraro, verlas in der größten Kirche der Hauptstadt, dem "Heiligtum der Göttlichen Vorsehung", die päpstliche Urkunde. Gemeinsam mit dem bis zu seinem Tod höchsten Würdenträger der Kirche in Polen wurde auch die Ordensgründerin Matka Elzbieta Roza Czacka (1876-1961) seliggesprochen.
An dem Gottesdienst nahmen mehrere Tausend Menschen teil, darunter etwa 100 Bischöfe aus dem In- und Ausland sowie Staatspräsident Andrzej Duda und die Spitzen von Regierung und Parlament. Zu der eigens für diesen Anlass komponierten Seligsprechungshymne "Soli Deo" wurden Porträts der beiden neuen Seligen enthüllt und Reliquien von ihnen zum Altar gebracht.
Papst Franziskus billigte bereits im Oktober 2019 ein Dekret der Heiligsprechungskongregation, das die Heilung einer 19-jährigen Polin von Schilddrüsenkrebs im Jahr 1989 auf Anrufung Wyszynskis als Wunder einstuft. Damit waren alle formalen Voraussetzungen für die Seligsprechung erfüllt. Wegen der Corona-Pandemie musste die ursprünglich für den 7. Juni 2020 geplante Zeremonie verschoben werden.
Ordensgründerin Matka Elzbieta Roza Czacka ebenfalls seliggesprochen
Im Oktober 2020 erkannte der Papst auch ein Wunder auf Fürsprache von Elzbieta Roza Czacka an. Die spätere Gründerin einer Franziskanerinnen-Kongregation erblindete in jungen Jahren nach einem Unfall. 1917 trat sie dem Dritten Orden des heiligen Franziskus bei, kurz darauf gründete sie eine eigene Gemeinschaft, der sie drei Jahrzehnte lang als Generaloberin vorstand. Das Requiem nach ihrem Tod 1961 leitete Kardinal Wyszynski.
Mit einer Seligsprechung stellt die katholische Kirche fest, dass ein Verstorbener vorbildlich aus dem Glauben gelebt hat und Christus in besonderer Weise nachgefolgt ist. Daraus ergibt sich die Empfehlung, diese Person als Vorbild und Fürsprecher bei Gott anzunehmen. Selige werden anders als Heilige nur regional verehrt.
Franziskus würdigt neue polnische Selige
Papst Franziskus hat die beiden neuen polnischen Seligen gewürdigt: Kardinal Stefan Wyszynski (1901-1981) und die Ordensgründerin Elzbieta Czacka (1876-1961). Beide werden am Sonntag bei einer Messfeier in Warschau mit Kurienkardinal Marcello Semeraro seliggesprochen.
Am Ende der Abschlussmesse des Eucharistischen Weltkongresses am Sonntag in Budapest sagte der Papst, der frühere Erzbischof von Gnesen (Gniezno) und Warschau sowie Primas von Polen habe die Leiden des christlichen Kreuzes selbst erfahren. Dennoch, so der Papst weiter, "war er immer ein mutiger Hirte nach dem Herz Christi, ein Herold der Freiheit und der Menschenwürde".
Schwester Elzbieta würdigte Franziskus wegen ihres Einsatzes für Blinde und Sehbehinderte. Das Beispiel der beiden neuen Seligen, so der Papst, möge dazu anregen, "die Finsternis mit der Kraft der Liebe in Licht zu verwandeln".