Der Rabbiner Brandt über die Befindlichkeit der Juden in Deutschland

"Wir brauchen keine Hilfe von außen"

Der Überfall auf den Berliner Rabbiner Daniel Alter und die Beschneidungsdebatte - beides sorgt für Schlagzeilen und Gesprächsstoff. Der jüdische Vorsitzende des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Henry G. Brandt, zu der Debatte.

 (DR)

KNA: Herr Rabbiner Brandt, was hat der Überfall auf Ihren Berliner Amtsbruder Daniel Alter für Empfindungen bei den Juden in Deutschland ausgelöst?

Brandt: Wir sind besorgt. Der Vorfall hat eine neue Qualität. Er offenbart ein wachsendes Maß an Antijudaismus unter jungen Muslimen.



KNA: Was für Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Brandt: Jetzt kommt es darauf an, dass wir uns zusammen mit der Politik und den Vertretern der Muslime an einen Tisch setzen und darüber reden, was zu tun ist.



KNA: Es scheint, als ob sich die großen Islamverbände erst mit einer gewissen Verzögerung zu Wort meldeten.

Brandt: Das möchte ich nicht kommentieren. Aber es ist angesichts der unterschiedlichen Strömungen und Verbände für die Muslime gewiss schwerer, mit einer Stimme zu sprechen, als es für uns mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland ist.



KNA: Dafür herrscht an Reaktionen aus Israel kein Mangel.

Brandt: Dass ein solcher Vorfall für Entsetzen sorgt, ist unter Gesichtspunkten der deutschen Geschichte verständlich: Die Leute sind empfindlich. Hinzu kommt, dass Israel sich ja immer auch in der Pflicht sieht, die Sicherheit der jüdischen Gemeinden weltweit zu gewährleisten. Dieses Denken ist fest verwurzelt und kam etwa auch bei der Operation Entebbe zum Ausdruck, als 1976 israelische Sicherheitskräfte in Uganda eine durch palästinensische und deutsche Terroristen entführte Air-France-Maschine befreiten.



KNA: Steckt dieses Motiv auch hinter den Einlassungen etwa des israelischen Oberrabiners Yona Metzger zur Beschneidungsdebatte?

Brandt: Das hat uns in Deutschland schon etwas irritiert. Die Initiative war nicht abgesprochen. Außerdem hat das Oberrabbinat hier keinerlei Autorität. Wir sind schon fähig, derartige Dinge selbst zu lösen und brauchen dafür keine Hilfe von außen.



KNA: Gilt das auch für den Brief des israelischen Innenministers Eli Jischai an Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Brandt: Ja. Ich denke, in Israel gibt es genügend Probleme, die die Arbeitskraft des Ministers erfordern. Wir haben gute Beziehungen zu den politisch Verantwortlichen und können unsere Wünsche und Sorgen offen ansprechen.



KNA: Das deutsch-israelische Verhältnis wird durch solche Interventionen nicht getrübt?

Brandt: Ach was. Dinge von Substanz wie etwa die Sicherheit des Staates Israel werden weiterhin auf politischer Ebene behandelt. Der Rest ist Wetterleuchten.  



Zur Person: Der 84-jährige Landesrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg weiß, wovon er spricht. Nachdem seine Eltern vor den Nationalsozialisten aus Deutschland flohen, wuchs Brandt in Israel auf.