Jedes vierte Kirchenmitglied in Deutschland denkt einer Umfrage zufolge über einen Austritt nach. Unter ihnen bilden Katholikinnen und Katholiken mit zwei Dritteln eine deutliche Mehrheit.
Das zeigt der am Donnerstag veröffentlichte Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh.
Durch Skandale Vertrauen verloren
81 Prozent aller Austrittswilligen gaben an, sie hätten wegen Skandalen ihr Vertrauen in religiöse Institutionen verloren. «Hier schlagen sich vermutlich die Missbrauchsskandale und die geringe Reformbereitschaft der römischen Kurie nieder», sagte der Stiftungsexperte für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Stephan Vopel.
Eine feste Absicht zum Austritt bekundete jedes fünfte Kirchenmitglied. Je jünger die Altersgruppe, desto häufiger äußerten die Befragten diesen Willen. So waren es 41 Prozent unter den 16- bis 24-Jährigen, 35 Prozent unter den 25- bis 39-Jährigen, rund 20 Prozent unter den 40- bis 54-Jährigen sowie den 55- bis 69-Jährigen und 5 Prozent unter den 70-Jährigen und Älteren.
Auch ohne Kirche Christ sein
92 Prozent der Menschen mit Austrittswunsch stimmten der Aussage zu, man könne auch ohne Kirche Christ sein. Dies bejahten zudem 84 Prozent der Mitglieder, die in der Kirche bleiben wollen. "Hier zeigt sich: Die Gleichung 'religiös gleich kirchlich' gilt für sehr viele Menschen nicht mehr", erklärte Religionsexpertin Yasemin El-Menouar.
Die Studie betrachtet auch die religiöse Selbsteinschätzung von Menschen im Zeitverlauf. Während vor zehn Jahren fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent) sagten, sie glauben stark an Gott, sind es heute noch 38 Prozent. 25 Prozent glauben mittlerweile gar nicht mehr an Gott; vor zehn Jahren waren es 21 Prozent. Als überhaupt nicht religiös bezeichnet sich heute jeder Dritte (33 Prozent) - eine Zunahme um zehn Prozentpunkte. Hingegen sank der Anteil an Menschen, der sich als sehr religiös bezeichnet, von 20 auf 16 Prozent. 14 Prozent besuchen mindestens einmal im Monat einen Gottesdienst - ein Rückgang um 6 Prozentpunkte.
Fast jeder zweite ist Kirchenmitglied
In Deutschland gehören rund 41 Millionen Menschen der katholischen und evangelischen Kirche an. 2021 sank ihr Anteil erstmals auf unter 50 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Gleichzeitig erreichten die Kirchenaustritte einen Höchststand mit rund 639.000 Personen.
Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa erinnerte an die Leistungen des katholischen Sozialverbands, etwa in Altenheimen, Kindergärten und Beratungsstellen. Aber hunderte Angebote der Caritas könnten nicht aufwiegen können, was in der Kirche an Verletzungen entstanden sei.
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagte Zeit online: "Das Überleben der Kirchen ist wichtig für das Überleben der Demokratie." Deutschland sei historisch christlich geprägt.
Der Religionssoziologe Michael N. Ebertz sagte im Gespräch mit der DOMRADIO.DE-Redaktion: "Das Erstaunliche ist eigentlich, dass so viele bleiben." Offensichtlich gebe es noch ein Potenzial an Hoffnung, was mit dieser Kirche verbunden sei.
Über 10.000 Menschen befragt
Für den Religionsmonitor befragte das Institut Infas im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung vergangenen Sommer 4.363 Menschen in Deutschland und weitere 6.294 Menschen in den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Polen sowie den USA. Laut Angaben handelt es sich um eine repräsentative Erhebung.