Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler wird 75

Provokateur im Dienst der Menschlichkeit

"Fassen Sie Mut und erhängen Sie sich", schrieb ihm ein Metzger aus dem Zürcher Oberland. Seinem Paket lag noch ein Strick bei. Bei Jean Ziegler stapelte sich solche Post. "Das dokumentiert den geistigen Zustand meiner Heimat", klagt Ziegler mit ruhiger Stimme. Am Sonntag wird der Genfer UN-Funktionär 75 Jahre alt.

Autor/in:
Jan Dirk Herbermann
 (DR)

Die Aufforderung zum Selbstmord erhielt er Ende der 90er Jahre. Der Bestsellerautor hatte mit "Die Schweiz, das Gold und die Toten" viele seiner Landsleute zum Kochen gebracht. Die Empörung war groß über Sätze wie "Hitler war ein Traumkunde für unsere Banken".

Nachdem Ziegler mit der Legende von der unschuldigen Schweiz im Zweiten Weltkrieg aufgeräumt hatte, wendete sich der Globalisierungskritiker in den vergangenen Jahren wieder internationalen Konflikten, dem Hunger in der Welt und der Finanzkrise zu. Und der linke Wissenschaftler provoziert: Als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung verglich er israelische Soldaten im Gazastreifen mit "KZ-Wärtern der Nazis".

Und er will Finanzmanager wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht sehen: "Ein Nürnberger Tribunal soll die Gauner verurteilen, welche die Krise verursacht haben." Auch Ziegler weiß, dass solche Forderungen nicht durchkommen. Aber die Medien greifen sie gerne auf. So gibt der scharfzüngige Schweizer auch im Pensionsalter fleißig Interviews und schreibt Artikel - vor allem für Blätter im Ausland.

Das Schweizer Establishment aber spart nicht mit Kritik an seinem schärfsten Kritiker. "Mit seinen Nachlässigkeiten macht Ziegler es seinen Gegnern fast schon zu einfach", urteilt die vornehme "Neue Zürcher Zeitung". Andere beschuldigen ihn, er schiele vor allem auf die Auflage, rühre historische Halbwahrheiten und die Auswüchse seiner Fantasie gewieft zusammen.

Als UN-Sonderbeauftragter im Kongo-Krieg
Der Sohn eines Richters und Armeeobersten wird am 19. April 1934 in Thun, Kanton Bern, geboren und nach seinem Vater auf den Namen "Hans" getauft. Nach dem Abitur kehrt er seinem bürgerlich-protestantischem Elternhaus den Rücken und geht nach Paris. Inspiriert von nächtelangen Diskussionen in kommunistischen Zirkeln und Begegnungen mit dem Philosophen Jean-Paul Sartre, zieht es ihn in die Ferne.

Ziegler geht als UN-Sonderbeauftragter in den Kongo-Krieg, wo er sich im Angesicht niedergemetzelter Kinder schwört, "nie mehr - nicht einmal mehr zufällig - auf der Seite der Henker zu stehen". Dann wechselt er Studienfach, Sprache, politische Couleur und Namen: Von der Jurisprudenz zur Soziologie, vom Deutschen zum Französischen, vom Gemäßigten zum Sozialisten - und von Hans zu Jean Ziegler.

Als Genfer Uni-Professor findet er immer wieder Zeit, seine Heimat ins Visier zu nehmen. In einem seiner erfolgreichsten Bücher, "Die Schweiz wäscht weißer", geißelte er schon vor 20 Jahren die eidgenössischen Banken als "Finanzdrehscheibe des internationalen Verbrechens". Seine damalige Forderung, das Schweizer Bankgeheimnis abzuschaffen, versetzte die Bankiers in Zürich und Genf in Rage. Jetzt aber musst die Schweizer Regierung die Lockerung des Bankgeheimnisses verkünden - auf internationalen Druck hin.

Immer wieder suchte der Querulant Ziegler auch die Nähe von Diktatoren wie Libyens Muammar el Gaddafi und Kubas Fidel Castro, solange diese den gleichen Kampf gegen den US-Imperialismus führten. Mit der Bankenkrise keimt bei Ziegler Hoffnung auf: "Der angloamerikanische Raubtierkapitalismus ist am Boden", frohlockt er. "Und die Herrschaft der Weißen, die nur 13 Prozent der Weltbevölkerung stellen, ist zu Ende."