Der Südsudan stimmt über seine Zukunft ab

Hoffnung, Angst und viele Fragezeichen

Die Warteschlangen sind lang, die Hoffnungen immens: Denn Anfang 2011 haben die Südsudanesen erstmals Gelegenheit, über ihre Zukunft abzustimmen. Wollen sie weiter zum Sudan gehören oder unabhängig werden? Diese entscheidende Frage tritt im Moment allerdings immer mehr in den Hintergrund.

Autor/in:
Katrin Gänsler
 (DR)

Stattdessen wünschen sich die Sudanesen vor allem zwei Dinge: eine ruhige Abstimmung - und endlich Frieden. Am Wort Referendum kommt in diesen Wochen im Südsudan niemand vorbei. Jeder spricht vor dem 9. Januar davon und verbindet damit seine ganz persönlichen Hoffnungen, aber auch Ängste. Paulino Lukudu Loro gehört dazu. Der Erzbischof von Juba hat gerade drei Seminaristen zu Diakonen geweiht. Auch sie sollen zu Dienern des Friedens werden. Zudem wünscht sich der Erzbischof, dass so viele Wahlberechtigte wie möglich abstimmen und so über die Zukunft ihres Landes entscheiden.



Zumindest in den Straßen des südlichen Juba scheint das Interesse groß zu sein. Vor den Registrierungszentren - insgesamt gibt es 2.600 - haben sich laut Beobachtern lange Warteschlangen gebildet.  Darüber wird zwar geschimpft; gleichzeitig weckt die Abstimmung eben großes Interesse. "Es ist aufregend, an diesem Referendum teilzunehmen", meint etwa Student Nhial Deng. Neben der Euphorie wachsen allerdings auch die Bedenken. Denn während der Registrierung ist es immer wieder zu Verzögerungen gekommen. Die katholische Bischofskonferenz im Sudan sorgt sich inzwischen bereits öffentlich, ob das Referendum - Meilenstein in der Geschichte des Landes - wirklich frei und fair ablaufen wird.



Beschlossen wurde es bereits vor knapp sechs Jahren, im Rahmen des Friedensabkommens zwischen der Regierung in Khartum und der Sudanesischen Befreiungsarmee (SPLA). Damit endete ein über Jahrzehnte dauernder Bürgerkrieg unter den rund 43 Millionen Einwohnern. Die Kämpfe entzündeten sich an ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten, an Ideologien - und vor allem am Öl. Während der Norden muslimisch geprägt ist, bekennt sich der überwiegende Teil der 8,3 Millionen Sudanesen im ölreichen Süden zum Christentum.



Katholiken beten für den Frieden

Vielleicht setzten sich gerade deshalb religiöse Gruppen für ein friedliches Referendum ein. So hat die katholische Kirche einen 101 Tage andauernden Gebetsmarathon initiiert. Bis 1. Januar beten die Katholiken jeden Tag darum, dass die Situation nicht mehr eskalieren möge. Selbst Experten fällt die Einschätzung schwer, wie wahrscheinlich ein neuerlicher Ausbruch der Gewalt ist. Ein schlechtes Vorzeichen ist jedenfalls der Angriff auf einen südsudanesischen Stützpunkt am vergangenen Mittwoch; sechs Menschen kamen ums Leben.



Selbst wenn die Abstimmung ruhig verläuft, ist ungewiss, wie sich das Land - oder die beiden Länder - künftig entwickeln könnten. Dazu gehört die Frage nach dem Umgang mit Minderheiten. "Wir fordern beide Regierungen auf, dass sie Minderheiten schützen und mit Würde behandeln", mahnen die katholischen Bischöfe. Erst in den vergangenen Wochen waren Befürchtungen laut geworden, dass Christen im Norden massiv diskriminiert werden könnten, falls das Land zerbricht.



Unklar ist auch, was aus den Ölgewinnen wird. Schließlich ist das Land der drittgrößte Förderer Afrikas. Das meiste Öl liegt im Süden - und außerdem steht eine Lösung bezüglich des Grenzverlaufs in der Region Abyei noch aus. Trotz dieser vielen Fragezeichen: Beobachter gehen mehrheitlich davon aus, dass der Süden am 9. Januar für seine Unabhängigkeit stimmen wird. Es wäre übrigens - sieht man vom weiter ungeklärten Status des Kosovo ab - die erste Staatsneugründung seit Mai 1993. Damals entschied sich Eritrea in einer Volksabstimmung für die Abspaltung von Äthiopien.