Der Syrien-Konflikt vertieft auch die Gräben im religiös zerklüfteten Libanon

Sorge um Destabilisierung

Mit dem drohenden Zusammenbruch des Assad-Regimes in Syrien steht der Libanon vor der wohl größten Herausforderung seiner jüngeren Geschichte. Christliche Politiker könnten im fragilen Gleichgewicht des multireligiösen Landes an Gewicht gewinnen. Doch sie sind gespalten.

Autor/in:
Mona Naggar
 (DR)

Laila Saikaly hat nie an Auswanderung gedacht, selbst während der Wirren des libanesischen Bürgerkrieges nicht. Auch in der momentanen angespannten Lage würde es ihr niemals in den Sinn kommen, ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Aber die ehemalige Lehrerin gibt zu, dass die vom Bürgerkrieg in Syrien beeinflusste Sicherheitslage ihr doch Sorgen bereitet: "Man kann nie wissen! Die Situation ist politisch sehr angespannt."



Die 70-Jährige lebt mit ihrem Mann in Bouchariya, einem Stadtteil im Osten Beiruts. Nikolas Saikaly betreut dort eine Gemeinde der Maroniten. Im Libanon ist die mit Rom verbundene Maronitische Kirche mit rund einer Million Mitgliedern die zahlenmäßig stärkste christliche Gemeinschaft. Seit dem Ausbruch des Aufstandes in Syrien erlebt der Pater immer wieder, dass Gemeindemitglieder die Befürchtung äußern, im Nachbarland könnten radikale Muslime die Macht übernehmen. Er weist darauf hin, dass Syrer und Libanesen eng miteinander verbunden sind. Viele Syrer leben im Libanon und umgekehrt. Am meisten sorgt ihn die Vorstellung, dass Christen aufgrund ihrer Religion diskriminiert werden könnten: "Die Heimat gehört allen und jeder hat seine Art Gott anzubeten."



Gespaltenes Lager der Christen

Lange waren die christlichen Libanesen, die ungefähr ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, politisch marginalisiert. Nach dem Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon im Jahr 2005 gaben sich christliche Politiker wieder selbstbewusster. Aber wie die Muslime im Land sind auch die christlichen Libanesen über die Ereignisse in Syrien tief gespalten. Die politischen Vertreter der Christen im Zedernstaat verteilen sich auf die beiden verfeindeten Lager, die nach der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Al-Hariri 2005 entstanden sind. Die "Freie Patriotische Bewegung" steht auf der Seite der schiitischen Hisbollah, die mit dem Regime in Damaskus verbündet ist. Die "Forces Libanaises" und die Phalangisten bilden mit der sunnitischen "Future Bewegung" eine Allianz. Diese halten zu den Aufständischen.



Längst haben sich im Libanon die Bezeichnungen "schiitischer Christ" und "sunnitischer Christ" eingebürgert. Diejenigen, die keinem der beiden Lager stehen, empfinden oft tiefe Frustration. Sarkis Naoum, Kolumnist der libanesischen Tageszeitung "an-Nahar", wünscht sich eine konstruktivere Rolle der Christen. Er stellt sich vor, dass die christlichen politischen Kräfte die Funktion einer Brücke spielen könnten, um Schiiten und Sunniten einander näher zu bringen. Aber Naoum hält dies für unwahrscheinlich: "Ich fürchte, dass die Christen für diese Rolle nicht reif genug sind. Sie sind zutiefst verfeindet und würden sich am liebsten gegenseitig von der Bildfläche verschwinden lassen."



Spaltung durch Gemeinden und Familien

Im Vergleich zu anderen arabischen Ländern hätten die Christen im Zedernstaat durchaus politischen Einfluss, sagt George Sabra, Direktor der Near East School of Theology in Beirut. Der evangelische Christ wünscht sich, dass Christen eine aktivere Rolle einnehmen und ein Gleichgewicht zwischen verfeindeten Sunniten und Schiiten herstellen. Allerdings meint der Theologe, dass diese Vision bei den christlichen Parteien gar nicht exisitert. Die christlichen politischen Führer auf beiden Seiten seien gefangen in ihrer Geschichte und in den blutigen Konflikten der Vergangenheit.



Das mit Rom unierte maronitische Patriarchat ist offenbar mit dieser politischen Spaltung, die durch Gemeinden und Familien geht, überfordert. Das Patriarchat, das in der Vergangenheit durchaus klare politische Positionen ergriffen hat, hat es nicht geschafft, beide Lager an einen Tisch zu bringen. Patriarch Beshara al-Rahi, seit 2011 im Amt, konzentriert sich auf die Stärkung der Religion und wirbt für einen "christlichen Frühling".