Nun lobt er den Papst. Franziskus, das Kirchenoberhaupt aus Argentinien, habe "die Figur des Papstes reformiert", sagte Leonardo Boff im Sommer. "Unsere Bischöfe sind keine Kirchenautoritäten mit dem Rücken zum Volk. Sie sind Hirten, die mitten im Volk gehen." Die Gestalt von Jorge Mario Bergoglio aus Buenos Aires hat den Blick der Kirche im alten Europa neu auf Lateinamerika gelenkt, diesen mehr oder weniger katholischen Kontinent. Und auf seine progressiven theologischen Köpfe.
Köpfe wie Boff; Leonardo Boff. Er ist der bekannteste Vertreter der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung. In den 1980er Jahren stand er im Mittelpunkt vatikanischer Kritik. An diesem Samstag wird er 75 Jahre alt.
Lob für Benedikt XVI.
Der Sohn italienischer Einwanderer, 1938 im Süden Brasiliens geboren, trat 1964 in den Franziskanerorden ein, während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Das Studium an europäischen Universitäten, etwa beim Jesuiten Karl Rahner in München, beendete er 1970 mit einer Doktorarbeit, die er unter anderen bei Joseph Ratzinger erstellte - dem späteren Papst Benedikt XVI. Er sei damals befreundet gewesen mit Ratzinger, einer "äußerst feinsinnigen Person", sagte Boff zuletzt - und lobte den Deutschen, der ihn als Theologe einst so streng maßregelte: Mit seinem Rücktritt habe Benedikt XVI. das Wohl der Kirche über seine eigene Person gestellt.
Nach den Jahren in Europa kehrte Boff nach Lateinamerika und Brasilien zurück - auf einen Kontinent, der damals gleichermaßen von Militärdiktaturen, schreiender Armut und zementierter Ungerechtigkeit geprägt war. Die Frage, die sich stelle, sei, wie man Gott verkündigen könne "in einer Welt des Elends", sagt er.
Widerspruch aus Rom
Seit 1970 gab Boff die Reihe "Theologie und Befreiung" heraus, zählte auch zu den Mitherausgebern der angesehenen theologischen Zeitschrift "Concilium". Als er 1981, zunächst auf Portugiesisch, das Buch "Kirche: Charisma und Macht" herausgab, war er nicht mehr nur Fachleuten bekannt. Mit diesem Werk stieß er auf massiven Widerspruch Roms - nicht wegen der sozialkritischen Perspektive der Befreiungstheologie, sondern wegen des Kirchenbildes.
Denn Boff stellt in seiner Analyse - bis heute - unter Bezug auf die Reformation das katholische Kirchenbild in Frage. Der Institution stellt er die "wahre Kirche" des Heiligen Geistes entgegen, die lebendige Kirche der Armen. Das ist theologischer Sprengstoff. 1984 ist Boff in Rom geladen, zum Gespräch mit Ratzinger, dem Präfekten der Glaubenskongregation. Ein Jahr später folgt ein Rede- und Lehrverbot, die Enthebung von allen kirchlichen Ämtern, die Anordnung eines Bußschweigens.
Austritt aus dem Franziskanerorden
Im damaligen Schweigen schreibt Boff. Zwar bekommt er 1986 seine Ämter und seine Lehrbefugnis zurück, doch weitere Bücher, unter anderem zur Christologie, sorgen für weitere Kontroversen mit Rom. Als 1992 ein erneutes Rede- und Lehrverbot droht, tritt Boff aus dem Franziskanerorden aus und legt bald auch sein Priesteramt nieder.
Danach lehrte er Ethik, Philosophie und Religion an der Universität von Rio de Janeiro. Er engagiert sich für Basisgemeinden und widmet sich verstärkt ökologischen Themen. Mit zahlreichen Büchern gehört er weltweit zu einer der prominenten eher theologisch-mystischen denn fachtheologischen Stimmen. Seine Spiritualität setzt auf eine lebendige Begegnung mit Gott, nicht auf religiöse Macht. Heute lebt Boff mit der Theologin Marcia Maria Monteiro de Miranda in einem ökologischen Projekt in Petropolis, einer Stadt 60 Kilometer nördlich von Rio.
"Befreiungstheologie bleibt aktuell"
Immer wieder kommt die Kritik an den Zuständen in seinem Heimatkontinent. "Solange es Armut, wirkliche hoffnungslose Armut gibt, bleibt die Befreiungstheologie aktuell. Denn sie ist eine Einladung an alle Christen, im Glauben nicht nur eine mystische, sondern auch eine politisch engagierte Dimension zu sehen." Bei allen gravierenden Unterschieden, die es zwischen Bergoglio und Boff in der Lehre gibt: Angesichts eines Papstes Franziskus und seines Schreibens "Evangelii gaudium" klingen solche Verse plötzlich fast päpstlich. Mit Franziskus, sagt Boff, habe er "die Hoffnung, dass die Kirche auf der Seite der Leidenden stehen wird". Franziskus stehe am Anfang einer "neuen Familie von Päpsten, die aus der Dritten Welt kommen und die Kirche erneuern werden."