Der Theologe Thomas Söding über das neue Buch des Papstes

"Revolutionär"

Das gab es noch nie: Ein Papst schreibt ein Buch über Jesus - aber nicht als Dogma, sondern zur offenen Diskussion. Am Montag, dem 80. Geburtstag von Benedikt XVI., veröffentlicht der Herder-Verlag das neue Werk "Jesus von Nazareth". Der Wuppertaler Bibelwissenschaftler Thomas Söding, Mitglied der Internationalen Theologenkommission des Vatikan, konnte als einer der wenigen das Buch vorab lesen und hält es für "revolutionär", wie er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn erklärt.

 (DR)

Was ist das Besondere an diesem neuen Buch des Papstes?
Söding: Das gab es noch nie in der Geschichte, dass ein Papst ein wissenschaftliches Jesusbuch schreibt. Hier zeigt sich ein ganz neuer Stil des Papsttums: Der Stellvertreter Christi auf Erden formuliert kein Dogma, sondern sagt "Das ist meine Beobachtung als Theologe, lest das kritisch und diskutiert darüber!" Das halte ich für revolutionär.

Der Papst verlässt also sozusagen den Heiligen Stuhl...
Söding: Er ist als Bischof Lehrer der Kirche. Und er spielt die Karte der Wissenschaft aus. Er stellt sich der Diskussion und macht sich bewusst angreifbar. Was er jetzt braucht, sind viele intelligente und kritische Leser, die nicht vor Ehrfurcht in die Knie gehen, sondern das offene Gesprächsangebot ernst nehmen.

Wird sich der Papst auch an den Diskussionen beteiligen?
Söding: Er wird sich zurückhalten. Er kann ja bei seinen vielen Amtspflichten nicht auf Kongresse gehen, um sein Buch zu verteidigen. Er hat aber einen wichtigen Anstoß gegeben und fordert die Theologie heraus.

Wendet er sich nur an Wissenschaftler?
Söding: Nein, gar nicht. Das Buch ist für alle interessant. Und mit seiner klaren und sehr gut verständlichen Sprache kann man es auch ohne Vorkenntnisse lesen.

Warum hat er Jesus als Thema gewählt?
Söding: Er hat Jesus, zu dem er eine intensive Beziehung hat, in seinen bisherigen Arbeiten bewusst aufgespart. Eben weil er dieses Buch schon lange geplant hat: "Wenn es einen neuen Papst gibt, gehe ich zurück nach Regensburg und schreibe", hat er mal gesagt. Die eigentliche Sensation ist, dass er es sogar als Papst geschafft hat, wenigstens den ersten Band fertig zu stellen.

Werden weitere Bände folgen?
Söding: Ich würde es ihm und uns wünschen. Doch ich glaube, er ist heilfroh, dass er überhaupt den ersten Band geschafft hat - von der Taufe Jesu bis zur Verklärung. Es fehlen halt noch die Kindheitsgeschichte, Passion und Auferstehung, aber auch die Streitgespräche Jesu oder die Wunder. Trotzdem begegnet uns keineswegs ein unvollständiger Jesus. Es geht nicht um neue Texte oder neue archäologische Funde, sondern um Jesus als wahren Sohn Gottes. So klar, entschieden und eindeutig ist das in der Jesusforschung nach der Aufklärung noch nicht vertreten worden.

Wird der Papst Widerspruch ernten?
Söding: Sicher. Ich erwarte die ganze Palette an Reaktionen:
Einige werden das Buch anhimmeln, andere aus Prinzip sagen "Das kann ja schon deshalb nicht gut sein, weil es der Papst geschrieben hat." Doch ich hoffe auf eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit Stärken und Grenzen des Buches.

Was kann das Buch aus ihrer Sicht bewirken?
Söding: Es ist ein gutes Buch und wird die Diskussion anregen.
Denn es macht die weitere exegetische Debatte keineswegs überflüssig. Viele Fragen bleiben offen. Der Papst will ja auch gerade nicht sagen "Hier ist der Weisheit letzter Schluss und ab jetzt wird keine Jesusforschung mehr getrieben." Im Gegenteil! Die Leser sollen ja diskutieren, wieso dieser Jesus einerseits so fasziniert und andererseits so irritiert.

Interview: Gottfried Bohl (KNA)