Der Pflegemarkt befindet sich im Umbruch

Der Trend geht eindeutig zum betreuten Wohnen

In Deutschland werden immer mehr Pflegebedürftige in Wohngemeinschaften und betreutem Wohnen versorgt. Allerdings wird die Qualität der Pflege nicht kontrolliert, beklagt die Barmer. Und teurer ist es für die Kasse auch.

Autor/in:
Christoph Arens
Betreutes Wohnen bringt mehr Lebensqualität / © nn (DR)
Betreutes Wohnen bringt mehr Lebensqualität / © nn ( DR )

"Trotz Pflegebedürftigkeit und demenzieller Erkrankung bis ins hohe Alter ein selbstständiges Leben nach individuellen Ansprüchen führen?" Für viele Senioren klingt das verheißungsvoll. "Ein Maximum an Selbstständigkeit - ein Optimum an Betreuung und Pflege" - wie die Alexianer in Münster werben derzeit viele Anbieter von Pflegeleistungen für eine Alternative zu Altenheim und ambulanter Pflege zu Hause.

Mehr betreutes Wohnen

Mit Erfolg: Der Pflegemarkt befindet sich im Umbruch, stellt der am Donnerstag in Berlin veröffentlichte Pflegereport der Krankenkasse Barmer fest. Aktuell leben deutschlandweit bereits 181.000 Pflegebedürftige im betreuten Wohnen und in Pflege-WGs, 150.000 davon in betreutem Wohnen und mehr als 30.000 in den Wohngemeinschaften. Bundesweit existieren laut Barmer bis zu 8.000 betreute Wohnanlagen und 4.000 Pflege-Wohngemeinschaften. Etwa jede dritte sei in den letzten zehn Jahren entstanden.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Gruppe der Bewohner ist überschaubar, ebenso die Gruppe der Pflegekräfte und Helfer. Vielfach ist erwünscht, dass Angehörige mit ins Haus kommen und auch die Bewohner den Alltag organisieren helfen. "In eigenen vier Wänden leben und trotzdem nicht alleine sein, beim Kochen oder im Garten unterstützen, gemeinsam singen, lachen oder Ausflüge unternehmen - die Summe der Möglichkeiten trotz Erkrankung macht den Reiz dieser Wohnform aus», beschreibt Ulrich Beerwerth, Leiter der Alexianer Wohngemeinschaften, auf der Homepage, was sich vermutlich viele Senioren erträumen. Inzwischen gebe es allein in Münster und im Umfeld sieben Standorte. «Und die Nachfrage wächst weiter."

Pflege bleibt auf der Strecke

Aus Sicht der Barmer allerdings stellt sich die Situation ein wenig anders dar: "Wer sich für betreutes Wohnen oder eine Wohngemeinschaft entscheidet, sucht vor allem mehr Lebensqualität im Vergleich zu einem Heim", erklärte Barmer-Chef Christoph Straub vor Journalisten in Berlin. Die Qualität der Pflege dürfe dabei aber nicht auf der Strecke bleiben.

Aus Sicht der Kasse hapert es da bei vielen Einrichtungen. Bei den Bewohnern in betreutem Wohnen und in den Pflege-WGs sind Arztkontakte und auch die Verordnungen von Antipsychotika laut Barmer seltener als in Heimen. Neue Fälle von Wundliegen seien in betreutem Wohnen zu 66 Prozent wahrscheinlicher als im Pflegeheim - auch weil es keine Rund-um-die Uhr-Pflege gibt. Zugleich müssten 3,6 Prozent der Bewohner wegen Erkrankungen ins Krankenhaus, die sich eigentlich ambulant gut behandeln ließen. In Pflegeheimen träten nur 2,4 Prozent solcher Fälle auf.

Pflege-TÜV für neue Wohn- und Pflegeformen

"In der Summe finden sich keine Vorteile in der Pflegequalität in der Pflege-WG oder in betreutem Wohnen gegenüber der Pflegequalität im Pflegeheim", schließt die Barmer. "Vorteile finden sich in der Lebensqualität, der Wohnraumgestaltung und Wahlfreiheit." Kassenchef Straub fordert deshalb einen Pflege-TÜV auch für die neuen Wohn- und Pflegeformen.

Aus Sicht der Krankenkasse hat der Trend noch einen weiteren Haken: Die neuen Formen kombinieren Elemente der ambulanten und stationären Pflege mit Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen, etwa der häuslichen Krankenpflege. So könnten die Pflegeanbieter in neuen Wohn- und Pflegeformen maximale Leistungssummen erzielen, die doppelt so hoch seien wie in der vollstationären Pflege, schreibt der Bremer Pflegeexperte Heinz Rothgang.

Pflege-WGs sind teurer

Allein 2018 entstanden nach Angaben der Barmer für die Betreuung der Pflegebedürftigen in betreutem Wohnen und in Pflege-Wohngemeinschaften den Kassen Mehrausgaben von 399 Millionen Euro gegenüber einer vergleichbaren stationären Pflege.

Das kritisiert auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Es sei zutiefst ungerecht, dass Bewohner von Pflege-WGs bis zu doppelt so hohe Leistungen von den Kassen erhielten wie Pflegeheimbewohner, kritisierte Vorstand Eugen Brysch. Auch er warnt davor, die Pflege-WGs in den Himmel zu loben. Sie würden "als moderner Pflegeheimersatz verkauft", so Brysch. Leistungsanbieter hätten es verstanden, ein neues Geschäftsmodell anzubieten - ohne Qualität nachzuweisen. "Werden Pflege-WGs rechtlich einem Pflegeheim gleichgestellt, ist der Zauber schnell vorbei."


Quelle:
KNA
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