DOMRADIO.DE: Heribert lebte um die erste Jahrtausendwende. Warum ist er so bedeutsam?
Joachim Oepen (Stellvertr. Leiter des Historischen Archivs des Erzbistums Köln): Heribert war in mehrfacher Hinsicht wichtig: Zum einen gehörte er zu den führenden Köpfen des römisch-deutschen Reiches, in nächster Nähe zu Kaiser Otto III.. Er war nicht nur sein Kanzler und Berater, sondern auch sein Freund und eine der Hauptkräfte, die die Erneuerung des Römischen Reiches unter christlichen Vorzeichen, die so genannte "Renovatio imperii Romanorum", vorantreiben wollten. Das war ein großes Programm, eine Utopie des Kaisers, mit dem er letztlich allerdings scheiterte.
Darüber hinaus hatte Heribert 20 Jahre lang das Amt des Erzbischofs von Köln inne, das war damals einer der wichtigsten Bischofssitze des Reiches überhaupt. Und drittens legte Heribert den Grundstein für die Entwicklung des rechtsrheinischen Köln, indem er gegenüber vom Kölner Dom, auf der rechten Rheinseite, eine Abteil errichtete. Das geht zurück auf ein Gelübde, das sich Heribert und Otto gegenseitig gaben. Es besagte, dass derjenige, der zuletzt stirbt, ein Kloster gründet, das der Gottesmutter Maria geweiht werden sollte. Und das setze Heribert nach Ottos Tod in die Tat um.
DOMRADIO.DE: Aber dann verlor Heribert seine politische Macht. Was war passiert?
Oepen: Otto III. starb mit gerade einmal 22 Jahren im Jahr 1002. Bayernherzog Heinrich erhob Ansprüche auf den Thron, letztlich konnte er sich durchsetzen und wurde zu Kaiser Heinrich II.. Für Heribert bedeutete das einen gehörigen Karriereknick, denn er wurde wurde seines Kanzleramts enthoben und aus den Reichsgeschäften ausgeschlossen.
Weil er aber weiter das Amt des Erzbischofs inne hatte, konzentrierte er sich jetzt darauf. Und ich glaube, dass viele seiner Leistungen als Erzbischof damit zusammenhingen, im Gegensatz zu vielen anderen Bischöfen des Mittelalters, die immer auch ein politisches Amt inne hatten und im Dienst von Kaiser und Reich standen. Das war damals völlig normal. Ich glaube, dass das der Sache und seiner Wirksamkeit als Erzbischof durchaus zugute kam.
DOMRADIO.DE: Was hat ihn als Erzbischof ausgemacht?
Oepen: Zum einen sein karitatives Wirken: Die Sorge um die Armen ist natürlich bei einem Stadtherren immer Thema, aber bei Heribert ist schon augenfällig, dass er ein ziemlich professionelles Krisenmanagement an den Tag legte, wie man das heute ausdrücken würde. Nach der Jahrtausendwende suchten Hungersnöte ganz Europa heim und man kann heute noch nachlesen, wie strukturiert er das Problem anging, indem er zum Beispiel Almosenverwalter einsetzte und eine Matricula anlegen ließ, um die Bedürftigen zu registrieren. Ihm gelang es, Strukturen und Institutionen aufzubauen, die Hilfe leisteten.
Heribert hatte ein organisatorisches Talent aufgrund seiner Ausbildung und durch seine Tätigkeit als Kanzler brachte er natürlich auch viel Erfahrung mit. Deswegen war seine Hilfe so effektiv. Aus heutiger Sicht halten wir das für völlig normal, dass sich ein Erzbischof für die Menschen engagiert und eine gewisse Managementerfahrung mitbringt. Aber wir reden über die Zeit vor tausend Jahren, wo das genau nicht der Fall war. Und das unterscheidet ihn von anderen Bischöfen seiner Zeit.
Darum haben wir uns auch entschieden, das Festjahr 2021 – anlässlich seines 1000. Todestages - unter das Leitwort "Gerechtigkeit. Macht. Frieden" zu stellen, weil Heribert jemand war, der seine Macht einsetzte für den Frieden und die Gerechtigkeit.
DOMRADIO.DE: Trotzdem gehört er zu den eher unbekannten Heiligen. Warum?
Oepen: Das stimmt, eine überregionale Verehrung ist Heribert nie zuteil geworden, es gibt zum Beispiel nicht viele Heribertskirchen, also Kirchen, die sein Patrozinium tragen und das hängt damit zusammen, dass die Abtei, die Heribert errichten ließ, nie zu einem großen Pilgerzentrum wurde.
Verehrung als Heiliger passierte im Mittelalter vor allem dadurch, dass es eine Kultstätte mit einem Heiligengrab gab. Auf lokaler und regionaler Ebene ist da schon einiges passiert, was man auch daran erkennt, dass bis ins 20. Jahrhundert hinein "Heribert" oder "Herbert" hier im Rheinland ein beliebter Vornahme war. Aber zu überregionaler Bedeutung gelangte Heribert nie.
DOMRADIO.DE: Heribert ist ein Heiliger, obwohl er nie offiziell heilig gesprochen wurde, warum?
Oepen: In seiner Deutzer Gründung fand Erzbischof Heribert seine letzte Ruhestätte. Die Verehrung setzte bereits kurz nach seinem Tod im Jahr 1021 ein und es waren vor allem die Deutzer Mönche, die diesen Heiligenkult vorantrieben. Das ging dann rasend schnell, denn schon 12 Jahre nach seinem Tod bezeichnete sein Nachfolger, Erzbischof Pilgrim, Heribert als "sanctus" und etwas mehr als ein Jahrhundert nach seinem Tod, am 30. August 1147, kam es zur Erhebung der Gebeine - das ist ja bis heute ein Datum im Kirchenjahr - und wenige Jahrzehnte später wurde sein Schrein vollendet, der bis heute in Neu St. Heribert in Deutz zu sehen ist.
Das zog die Menschen aus der Region natürlich an, sie kamen nach Deutz und erbaten Wunder und Heilung von ihm. Zu jener Zeit wurde man schlicht heilig, indem man nach seinem Tod Verehrung erfährt. Die Heiligsprechungsverfahren wurden erst im hohen Mittelalter formalisiert.
DOMRADIO.DE: Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Heiligen Heribert, was fasziniert Sie persönlich an dieser Figur?
Oepen: Was ich persönlich besonders interessant finde, ist diese völlig verrückte Idee, die Heribert mit Otto III. und Gerbert von Aurillac, einem der gelehrtesten Köpfe jener Zeit und der spätere Papst Silvester II., hatte, das Römische Reich unter christlichen Vorzeichen wiederzuerrichten. Das waren ja alles junge Männer und diese jugendliche Euphorie, mit der sie das vorangetrieben haben, finde ich faszinierend. Die Pläne umfassten damals auch schon die Territorien des heutigen Ungarn und Polen und darin könnte man bereits einen Vorläufer des modernen Europa-Gedanken sehen.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.