DOMRADIO.DE: Sie schreiben in Ihrer zweiten Biografie: "Ich bin kein Atheist, dazu mache ich mir viel zu viele Gedanken über Religion. Aber ich kann auch nicht sagen, woran ich glaube. Ich weiß nur, dass nach dem Schlaganfall und meiner Genesung mein Gottvertrauen zugenommen hat."
Niedecken: Ich war nie ein Atheist. Ich bezeichne mich immer als restkatholisch. Als Atheist könnte ich gar nicht leben. Ich glaube zu 51 Prozent. Das ist genetisch angelegt. Mein Vater, meine ganzen Urahnen, das waren alles katholische Winzer aus Unkel am Rhein. Das ist mir so vermittelt worden, da habe ich auch meine Werte letztendlich her. Das ist meine Religion, in der ich aufgewachsen bin und ich empfinde das auch so. Ich habe aber ein etwas saloppes Verhältnis zum Herrgott. Ich nenne den immer Chef. Ab und zu frage ich ihn, ob das so in Ordnung ist, was ich mache. Ich habe so eine Form von Beten entwickelt, die ist relativ locker. Der Gott, an den ich glaube, hat auch viel Humor und viel Verständnis. Der ist keiner, der zum Lachen in Keller geht, mit Sicherheit nicht. Und nach der Genesung dachte ich mir: Dä Herrjott meint et joot met mir, auf jeden Fall.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet der Kölner Dom für Sie?
Niedecken: Der Dom ist natürlich eins dieser Dinge, die den Kölner sofort irgendwie Heimweh verspüren lassen. Für mich ist der Rhein allerdings noch wichtiger als der Dom. Aber trotzdem, der Dom ist untrennbar mit einem verbunden. Der Vierungsturm ist definitiv meine liebste Stelle in Köln! Ich stehe sogar lieber auf dem Turm als auf dem Chlodwigplatz, das will was heißen. Wenn ich da oben stehe und über die Stadt schaue, da kommen ganz viele Assoziationen. Ich kenne ja diese ganzen Bilder vom zerbombten Köln. Vor allen Dingen dieses Foto der Hohenzollernbrücke, die zerstört im Rhein liegt. Da bekomme ich jedes Mal einen Kloß im Hals, wenn ich daran denke. Das steht alles auf dem Spiel, wenn wir uns nicht zusammennehmen und das nicht hinkriegen mit dem Frieden in Europa. Ich ärgere mich total über diesen Brexit und wie der zustande gekommen ist. Das sind so viele Sachen. Das ist wie Flöhe hüten. Man muss einfach höllisch aufpassen.
DOMRADIO.DE: Sie hatten unlängst silberne Hochzeit, das ist auch nicht selbstverständlich im Ihrem Business.
Niedecken: Wir ergänzen uns wirklich sehr, sehr gut. Es gibt Sachen, wo ich überhaupt nicht in der Lage bin, das zu tun. Das schafft sie. Und ich bin in der Lage Sachen zu tun, wo sie sich nicht dran wagen würde. Es ist ja auch gerade in einem Alter, wo die Kinder aus dem Haus sind und man ist auf sich selbst zurückgeworfen, dann noch so miteinander verbunden zu sein, das ist nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Bei vielen geht es dann in die Hose. Leider. Die Kinder machen ihr eigenes Leben und dann sitzen sie zu Hause und denken, sie hätten überhaupt nichts mehr gemeinsam. Und dann wird's natürlich problematisch. Wir haben sehr viel gemeinsam. Das ist schön.
DOMRADIO.DE: Wie wichtig sind Ihnen Ihre Bundesverdienstkreuze?
Niedecken: Zunächst habe ich ein bisschen darüber gelächelt. Dann habe ich aber gemerkt, dass das für viele Leute ganz wichtig ist, dass ich diese Anerkennung bekomme. Und ich habe auch dazu gelernt. Wenn ich zum Beispiel mit dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler viel in Afrika unterwegs war, teilweise auch auf diesen Konferenzen, die er einberufen hat, wo Leute miteinander geredet haben, die sich sonst niemals in einem Raum befinden würden, wenn man dann mehr oder weniger zum diplomatischen Korps gehört, dann ist es schon gut, einen Anzug anzuhaben und dieses Ding da oben stecken zu haben. Weil das auch einen Respekt vor seinem Gegenüber bedeutet. Das ist unglaublich! Das hat ein bisschen was von Voodoo. Sobald du dieses Ding anlegst, passiert etwas. Bei den ersten Reisen bin ich rumgelaufen und man hat mich für einen Reporter gehalten. Und dann kam ich da manchmal gar nicht mit rein, wo der Chef reinging. Und auf einmal merkst du das: Es sind bestimmte Rituale, die teilweise ganz archaisch sind.
Der erste Orden war ja der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Johannes Rau hat mir den verliehen. Da hatte ich nicht mal einen Anzug. Der wusste gar nicht, wo er das Ding festmachen sollte. Das habe ich damals für Arsch huh gekriegt. Und ich habe es dann auf Dauer auch verstanden, dass die Kölner natürlich mit Recht auch sehr stolz auf ihr großes Engagement gegen rechts sind. Und dann habe ich den Orden damals auch angenommen in Vertretung der ganzen Leute, die bei Arsch huh mitgearbeitet haben. Aber auch in Vertretung für die 100.000 Menschen, die am Chlodwigplatz waren. Ich nehme das wirklich ernst und ich würde das auch nicht durch den Kakao ziehen.
DOMRADIO.DE: Ist Kristallnach nach 37 Jahren nach Erscheinen noch aktuell?
Niedecken: Ja, das liegt natürlich an den politischen Entwicklungen. Aber man kann auch Lieder geschrieben haben vor einer langen Zeit, die irgendwann mal qualitativ nicht mehr gehen. Irgendwann wird es dann platt. Aber dieses Stück ist irgendwie dadurch, dass es anscheinend auch von einem Kunststudenten geschrieben wurde, ja wie ein surrealistisches Gemälde oder etwas von Hieronymus Bosch. Viele Zusammenhänge muss man sich erfühlen. Das ist schon etwas anderes, als wenn man die Leute bevormundet, indem man ihnen schon von vornherein vorgibt, wie es zu gehen hat. Man lässt es den Leuten offen, dass sie die Assoziationen für sich selber machen und dann darüber nachdenken.
Dieses Nachdenken ist was sehr Interessantes. Ich glaube, instinktiv fühlen die Leute, dass sie nicht bevormundet werden, sondern dass sie selber in diesem Text auch rumsurfen können und immer wieder neue Sachen finden. Das passiert mir sogar manchmal selber, dass ich auf der Bühne stehe und denke über eine Zeile nach und frage mich: Wieso habe ich die eigentlich geschrieben? In dem Fall habe in den Text auf einer griechischen Insel geschrieben nach einem Erlebnis auf einer Fähre. Da haben die Leute so gedrängelt und rücksichtslos Alte und Kinder zur Seite geschubst. Und da habe ich mich gefragt: Was passiert denn eigentlich, wenn es wirklich um etwas Wichtiges geht? Wie sind die Leute dann drauf? Das hat sich so verdichtet, dass dieser Text dabei rauskam.
DOMRADIO.DE: Haben Sie immer noch Angst vor einem wachsenden Nationalimus?
Niedecken: Wenn man sich die AfD anschaut und die großen Populisten, die in Europa und weltweit an die Macht streben oder schon an der Macht sind, macht mir das wirklich Angst. Und dann dieser unerträgliche Kotzbrocken, der Amerika regiert. Das liegt natürlich daran, dass viele Leute sich politisch einfach nicht mehr informieren, obwohl wir in einer Informationsgesellschaft leben. Mittlerweile gibt's dann auch noch die Fake News. Man muss wirklich aufpassen. Ich halte da manchmal echt die Luft an. Aber man darf an dieser Stelle nicht nachgeben. Wenn wir in Deutschland aus der Weimarer Republik und der Zeit danach nichts gelernt haben, dann weiß ich es auch nicht.
DOMRADIO.DE: Vermissen Sie die Protestkultur der 1980er Jahre?
Niedecken: Also, ich finde das sensationell, was die Kids da in der Fridays-for-Future-Bewegung machen. Das ist ja fast das einzige noch, wo die Erwachsenen mal kapieren, dass der Klimawandel alle angeht. Wenn das nicht mehr ankommen würde bei den Erwachsenen, die Kinder haben, dann weiß ich auch nicht mehr. Also: Die Kinder machen lassen - auch mit Schuleschwänzen. Weil ansonsten würde ja keiner drüber berichten.
DOMRADIO.DE: Das aktuelle Live-Album von BAP wurde aufgenommen im Zirkus Krone in München. Was verbindet Sie mit diesem Ort?
Niedecken: Ein historischer Ort ist das für mich auf jeden Fall. Die Stones haben da gespielt. Dann auch die Beatles und diesen Auftritt habe ich damals im Fernsehen gesehen. Ich habe mir jedes Detail gemerkt und anschließend bin ich dann vor den großen Spiegel meiner Mutter und hab versucht, mit links Bass zu spielen. Ich wollte ja Paul McCartney sein.
Ich hab keinen Moment auf der Bühne vergessen, dass da schon die Beatles auf der Bühne standen. Das geht mir oft so. Wen ich in Berlin in der Waldbühne alles schon gesehen habe! Und dann spielen wir selber auf der Waldbühne. Oder in der Dortmunder Westfalenhalle. Da fand das erste Konzert von Dylan in Deutschland statt, 1978. Ich war natürlich da und hab das gesehen. Und irgendwann stehe ich dann selber in der Dortmunder Westfalenhalle auf der Bühne. Wahnsinn ist das. Ich erinnere mich immer an die Sachen, die ich in den entsprechenden Hallen als Zuschauer mitgekriegt habe. Wenn es sich um deine wirklichen Helden handelt, dann ist das schon ein Gänsehautgefühl.
DOMRADIO.DE: Nach wie vor dauert ein BAP-Konzert mindestens drei Stunden. Sie gehen langsam auf die 70 zu, viele jüngere Kollegen gehen nach zwei Stunden von der Bühne.
Niedecken: Mal gucken, wie lange ich das noch kann. Noch sieht es so aus, dass ich noch eine Weile könnte. Wenn die Kondition nicht mehr reicht, dann spielen wir nur noch zwei Stunden 45 Minuten. Geht ja auch noch.
Das Interview führte Martin Mölder.