Der Wert des Jakobswegs für Spaniens Image

"Es geht wohl um die Symbolik"

Für Spanien ist der Weg nach Santiago de Compostela mehr als ein Segen. Inzwischen kommen Menschen aus aller Welt, um in Galizien oder Castilla y León zu pilgern. Sie alle tragen zu einem positiven Image des Landes bei.

Autor/in:
Stefanie Claudia Müller
Gelbe Muschel des Jakobswegs / © gregorioa (shutterstock)
Gelbe Muschel des Jakobswegs / © gregorioa ( shutterstock )

Es ist nur warm in Castilla y León, aber noch nicht heiß. Im April und Mai kühlen die Nächte auf teilweise unter 10 Grad ab in dieser autonomen Region Spaniens. Es ist die ideale Zeit, um zu wandern. Auf der Weinroute Ribera del Duero gibt es zudem überall gute Tropfen. Die Landschaft ist noch grün und alles blüht. Die Kirche ist hier festverankert in jedem Dorf, durch das der Pilger wandert. Der Klausur-Konvent Santa Clara in Castrojeriz liegt direkt neben der "Quinta de San Francisco", einem Landhotel für Pilger. Es ist ein ehemaliger Konvent der Franziskaner mit einem lila leuchtenden Lavendel-Garten, der für sich allein schon ein Besuch wert ist. Alles ist hier auf Nachhaltigkeit und Spiritualität ausgerichtet. "Der Klarissenorden ist in Spanien immer in der Nähe der Franziskaner zu finden, was diese Ecke hier besonders macht", erklärt Hoteldirektor Leandro Aguirreche Schaafsma. Bei Morgengrauen beten die benachbarten Klausur-Nonnen bei offener Tür, aber hinter Gitterstangen. Es ist ein eindrucksvolles Szenario, um den "camino" zu beginnen. 

Die Spanier haben den Weg ein wenig so gelegt, wie es ihnen wirtschaftlich gut tut. So gehen fast alle durch die Dörfer durch, die ohne Pilger aufgeben müssten. / © Stefanie Claudia Müller (privat)
Die Spanier haben den Weg ein wenig so gelegt, wie es ihnen wirtschaftlich gut tut. So gehen fast alle durch die Dörfer durch, die ohne Pilger aufgeben müssten. / © Stefanie Claudia Müller ( privat )

Castrojeriz wäre ohne die Pilger schon längst gestorben

Patrick Joosten ist aus Huizen in Holland mit dem Fahrrad nach Castrojeriz gefahren: "Am Anfang musste ich mich erst daran gewöhnen, jeden Tag 120km auf dem Rad zu sitzen.  Aber nach und nach habe ich alle Schmerzen und Anstrengungen vergessen und meine gesamte Umgebung anders wahrgenommen und mich plötzlich nicht mehr allein gefühlt." 

Patrick Joosten ist endlich in Castrojeriz angekommen. Die Paella ist nicht typisch für die Region, aber die Ausländer lieben sie, also wird sie von der Bar angeboten. / © Stefanie Claudia Müller (privat)
Patrick Joosten ist endlich in Castrojeriz angekommen. Die Paella ist nicht typisch für die Region, aber die Ausländer lieben sie, also wird sie von der Bar angeboten. / © Stefanie Claudia Müller ( privat )

Der deutsche evangelische Pfarrer Holger Janke beschrieb bereits 2010 in seinem Buch "Jakobsweg", wie auch Motorradfahrer in Spanien pilgern können. Er stoppt auf seinem Weg von Deutschland durch Frankreich immer wieder, um mit den Menschen zu sozialisieren und nimmt auch auf dem Weg an Marathons teil, um seinen Grenzen auszutesten. Eine halbe Mio. Menschen sind in 2023 den Jakobsweg gelaufen. Meist sind sie 5-20 Tage unterwegs, manche aber auch Monate. Das sind fast doppelt so viele wie noch vor 14 Jahren. Wichtig ist für die meisten das Endziel: Santiago de Compostela in Galizien, wo der Apostel Jakob begraben liegen soll. "Es ist eine Legende. Es geht wohl um die Symbolik, dieses Miteinander auf dem Weg und das sich Selbstfinden und zur Ruhe kommen", sagt Joosten. 

Die Spanier haben im Laufe der Zeit aus vielen religiösen Legenden ein Geschäft gemacht, aber der Jakobsweg ist mit Abstand der größte Erfolg ihres "Storytelling".  Touristen aus Australien, Japan, China, Korea, Taiwan und Amerika kommen inzwischen nach Spanien, um auf dem Jakobsweg Einsichten zu gewinnen oder über einen Verlust hinwegzukommen.  Dazu gehört auch die 68jährige Mary Joy O’Meara, die inzwischen jedes Jahr nach Spanien reist, um ein Stück auf dem "camino" zu wandern: "Wir Amerikaner haben natürlich auch Pilgerwege, aber wir lieben Spanien, das hat auch damit zu tun, dass wir uns hier sicher fühlen."  Für sie ist das Land zudem im Vergleich zu Amerika günstig, die Unterbringungen und das Essen kosten weniger als in der Heimat. Amerikaner und Australier gehören deswegen auch zu den Hauptkunden der "Quinta de San Francisco", die von den Hardcore-Pilgern eher gemieden wird, weil sie sich aus religiösen Gründen keinen Luxus leisten wollen. 

Castrojeriz: Ohne die Pilger wäre dieses Dorf tot und auch mit den Wanderern muss es ums Überleben kämpfen. Überall werden Häuser und Lokale verkauft. / © Stefanie Claudia Müller (privat)
Castrojeriz: Ohne die Pilger wäre dieses Dorf tot und auch mit den Wanderern muss es ums Überleben kämpfen. Überall werden Häuser und Lokale verkauft. / © Stefanie Claudia Müller ( privat )

Luxusherbergen sind eher eine Seltenheit auf dem "camino"

Gerade ältere Menschen wollen aber  zwischen Etappe und Etappe mal gut und ungestört schlafen. "Das war auch die Idee von José Galíndez Zubiria, dem das Hotel gehört," erklärt Aguirreche Schaafsma. Der Baske ist einer der reichsten Unternehmer des Landes und ist ebenfalls ein überzeugter Pilger. Beispiele wie seines helfen dem Land, gegen das Aussterben von Dörfern zu kämpfen. Nicht immer gelingt das, weil die Bevölkerungsdichte vielerorts einfach zu gering ist und nicht genug Pilger hängen bleiben. Aber für Spanien ist der "camino" auch zu einem Markenzeichen geworden. Er macht die Essenz der modernen spanischen Gesellschaft aus: religiös geprägt, sozial und offen für andere Kulturen. Der Jakobsweg inspiriert auch immer mehr junge Menschen aus aller Welt, für die das karge Pilgerleben keine so starke Umstellung bedeutet und die das internationale Ambiente noch mehr zu schätzen wissen als ältere Menschen. 

Quinta de San Francisco in Castrojeriz - ein Dorf mit Charme und viel Spiritualität / © Stefanie Claudia Müller (privat)
Quinta de San Francisco in Castrojeriz - ein Dorf mit Charme und viel Spiritualität / © Stefanie Claudia Müller ( privat )

Dennoch bleibt es primär ein spiritueller Weg für Menschen ab 50 Jahre, die sich mit rund 25 Kilometer am Tag wie Joosten noch beweisen wollen, dass sie fit sind. Er selbst hat nur noch 5 Tage auf dem Rad vor sich, dann wird er nach fast einem Monat unterwegs endlich angekommen in Santiago de Compostela: "Danach geht es dann zurück mit dem Flugzeug", lacht er: "Mein Hintern tut mir schon sehr weh."  Auch O’Meara fliegt bald wieder zurück in ihre Heimat Wisconsin. Aber für sie ist klar: "Nächstes Jahr bin ich wieder dabei, wenn meine Gesundheit es zulässt." Sie hat das Gefühl, dass der "camino" bei ihren vielfältigen Leiden bisher nur hilfreich war: "Ich weiß nicht, wo der Zusammenhang liegt, aber ich finde einige Dinge schon sehr wunderlich, die mir auf dem Jakobsweg passieren."  So schrumpfte ihr vergrößertes Herz: "Ich habe dem Apostel also einiges zu verdanken", lacht sie und unterstreicht dabei nochmal, dass sie eigentlich keine praktizierende Katholikin ist.

Quelle:
DR