Stimmungsbild aus London zum Brexit

Der Wunsch nach Gewissheit

Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat die für Dienstag angesetzte Brexit-Abstimmung abgesagt und setzt auf Nachverhandlungen. Die deutsche Gemeinde in London hoffe "endlich auf eine Entscheidung", sagt Diakon Stephan Arnold.

Fünf nach Zwölf: Die Briten und der Brexit / © Michael Kappeler (dpa)
Fünf nach Zwölf: Die Briten und der Brexit / © Michael Kappeler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Bis zum geplanten Austrittstermin Großbritanniens aus der EU sind es keine vier Monate mehr (29.3.). Und jetzt dieses Debakel: May hat das Unterhaus nicht auf ihrer Seite - was ist da passiert?

Stephan Arnold (Diakon in der deutschen katholischen Gemeinde in London): Es ist das passiert, was viele schon befürchtet haben. May hat ja keine eigene Mehrheit mit ihrer Partei. Sie ist angewiesen auf die Stimmen der nordirischen Partei, die dort auch im Unterhaus sitzt.

May hat vermutlich gehofft, dass einige von der Opposition für den Brexit-Vertrag stimmen werden. Aber die sind halt geschlossen dagegen, weil sie natürlich auch ihre Chance sehen, dass die Regierung scheitert und es Neuwahlen gibt und sie dann an die Macht kommen.

DOMRADIO.DE: May muss jetzt also nachverhandeln. Eine andere Chance hat sie aktuell nicht. Und sie trifft deshalb heute in Den Haag den niederländischen Regierungschef Rutte, anschließend auch in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was glauben Sie, bringt das was?

Arnold: Es wird vielleicht ein paar kosmetische Korrekturen geben. Aber ich glaube nicht, dass die EU an dem Vertrag als Ganzes nochmal rüttelt. Das war ja schwierig genug mit der Frage der irischen Grenze. Dass da viel geändert wird, glaube ich nicht. Vielleicht gibt es noch die eine oder andere Zusicherung zur Frage der irischen Grenze. Aber mehr, denke ich, nicht.

DOMRADIO.DE: Sie sind ja Diakon der deutschen Gemeinde in London. Was genau sagen denn die Deutschen zu all dem?

Arnold: Der größte Wunsch in der Gemeinde ist vielleicht, dass endlich dieses Hin und Her und diese unklare Situation zu einem Abschluss kommt, dass endlich eine Entscheidung getroffen wird. Im Moment herrscht halt eine große Ungewissheit. Und da ist einfach der Wunsch da, man möge sich doch jetzt endlich mal entscheiden, was man eigentlich will.

DOMRADIO.DE: Wie reagieren Ihre deutschen Gemeindemitglieder? Gehen auch einige und sagen: Ich verlasse England?

Arnold: Das gibt es schon. Das haben wir im letzten Sommer schon gemerkt und das wird vermutlich diesen Sommer noch stärker werden.

DOMRADIO.DE: Am Montag hat jetzt der Europäische Gerichtshof entschieden, dass London rechtlich gesehen auch einen Rückzieher aus dem Brexit machen könnte. Wie würde das bei Ihrer Gemeinde ankommen?

Arnold: Das würden, glaube ich, die Allermeisten hier befürworten und sagen: Man hätte sich das sparen können, aber Gott sei Dank haben die Politiker diesen Weg eingeschlagen. Eigentlich möchten die Leute hier alle, dass die Briten in der EU bleiben.

DOMRADIO.DE: Wie steht die Kirche in England zu dieser ganzen Diskussion?

Arnold: Die anglikanische und auch die katholische Kirche haben keine direkte Vorgabe gemacht, wie die Leute abstimmen sollten, weil das natürlich auch hier so nicht mehr funktioniert. Sie sind schon eher pro-europäisch, will ich mal sagen, halten sich aber weitgehend aus der politischen Diskussion heraus.

Das Interview führte Verena Tröster.


Stephan Arnold / © N.N. (privat)
Stephan Arnold / © N.N. ( privat )