domradio.de: Sie kennen sich mit dem dem Leben als Christ in der Türkei und speziell in Istanbul aus. Wie lebt es sich dort?
Pfarrer Alexander Jernej CM (Pfarrer der österreichischen Gemeinde St. Georg in Istanbul und im Moment auch zuständig für die deutsche Gemeinde St. Paul): In einer sehr spannenden und interessanten Großstadt. Unsere Gemeinschaft ist sehr vielfältig. In Istanbul gibt es verschiedenste orientalische Kirchen, viele katholische Christen hier kommen aus Afrika und Europa. In unseren Kirchen spricht man englisch, italienisch oder deutsch natürlich auch. Das christliche Leben hier ist sehr bunt und vielfältig.
domradio.de: Wie unterscheidet sich das Gemeindeleben in Istanbul von dem in deutschprachigen Ländern?
Jernej: Wir sind Auslandsgemeinden. Jeder der hier lebt, hat seine eigene Geschichte. Hier leben auch seit Generationen schon deutschsprachige Christen, andere sind aus beruflichen Gründen hier, mal länger mal kürzer. Früher hat es auch noch regelmäßig Besuchergruppen gegeben, die auch am Gottesdienst teilgenommen haben. Die kommen jetzt leider weniger.
domradio.de: Aufgrund der angespannten Lage?
Jernej: Genau, speziell aus Österreich und Deutschland gibt es auffallend weniger Gruppen. Einige Familien ziehen auch weg von uns im Moment. Mehr aus der deutschen als der österreichischen Gemeinde. Gerade auch Familien mit Kindern haben sich entschieden, in die Heimat zurückzukehren.
domradio.de: Wie ist das Miteinander mit den Muslimen?
Jernej: Das ist von großer Freundlichkeit geprägt. Man begegnet einander grundsätzlich erst mal wohlwollend. Ich kenne eine Ordensschwester, die seit Jahrzehnten hier tätig ist und Flüchtlingssfamilien besucht, christliche wie muslimische, die bringt dann Medikamente oder Lebensmittel vorbei. Auf ihrem Weg begegnet sie auch regelmäßig einem Imam, mit dem sie ein paar Worte auf türkisch wechselt. Der sagt: Du tust so viel Gutes, du wärst eigentlich auch eine gute Muslimin. Solche Geschichten gibt es auch.
domradio.de: Das heißt, das Miteinander der Glaubenden funktioniert, unabhängig von der Religion? Funktioniert das auch mit den säkularen Türken?
Jernej: Mit beiden Gruppen funktioniert es. Die Muslime sehen uns als Partner im Sinne der Religion. Die säkularen Türken haben das Gefühl: Die Christen sind auch aufgeklärt und in unserer Lebenswelt zuhause.
domradio.de: Wie sieht Ihr Gemeindeleben aus?
Jernej: Das findet vor allem am Sonntag statt, beim Gottesdienst. Anschließend trifft sich unser Vinzenz-Verein regelmäßig. Unter der Woche haben wir einen Bibelabend, an dem auch Christen anderer Konfessionen teilnehmen, wir veranstalten auch Konzerte. In unserer Gemeinde passiert viel.
domradio.de: Fühlen Sie sich als Christ auf der Straße in Istanbul sicher?
Jernej: Ja, ich fühle mich schon sicher. Das hat bestimmt auch mit meinem persönlichen Lebensweg zu tun. Früher war ich auch öfter im Ausland tätig. Deshalb habe ich gelernt mich anzupassen.
domradio.de: Aber Anpassen ist nötig?
Jernej: Ja, aber das ist es überall. Man stellt sich ein auf die Leute, auf die Gegebenheiten, auf die Regeln die es überall gibt, um nicht besonders auffällig in Erscheinung zu treten.
domradio.de: Trotzdem treffen deutsche Gemeinden in der Türkei besondere Sicherheitsvorkehrungen. Wie ist das bei Ihrer Gemeinde?
Jernej: Bei öffentlichen Veranstaltungen in der Pfarre haben wir einen privaten Sicherheitsdienst. Die türkische Polizei bietet sich auch an, von sich aus. Beim Gottesdienst tun die dann ihren Dienst in der Nähe des Eingangsbereichs. Wir als österreichische Gemeinde haben das allerdings bis jetzt sehr wenig in Anspruch genommen, auch in der deutschen katholischen Gemeinde nicht so oft. Die evangelische Gemeinde hat das öfters schon genutzt. Die sind in einem Stadtviertel, in dem das von der Sicherheitslage schon eher nötig ist.
domradio.de: Hat sich die Lage der Christen in der Türkei in den vergangenen Jahren verändert?
Jernej: In Istuanbul hat sich die Situation sehr stark verändert. Vor allem durch Flüchtlinge, die seit Jahren aus Asien und Afrika zu uns kommen. Die Zahl der Christen hat dadurch auch stark zugenommen. Das Antlitz der Kirche ist für Christen, die länger hier leben, völlig neu geworden. Es gibt volle Kirchen in Istanbul mit Christen aus Afrika, Asien, Südkorea, von den Philippinen. Im Moment kommen auch viele Christen aus der Ukraine, die hier Arbeit suchen. Die angestammten, sogenannten levantinischen Christen sind eher im Abnehmen begriffen. Für uns als Gemeinden entstehen dadurch im Moment ganz neue Fragen.