Manchmal ist Kunst auch eine politische, eine historische Geste. In diesem Fall ohne jeden Zweifel: Zum 800-jährigen Jubiläum der Kathedrale Notre-Dame in Reims wurde der deutsche Maler und Installationskünstler Imi (Wolfgang) Knoebel (70), beauftragt, sechs neue Buntglasfenster zu entwerfen. Und zwar nicht irgendwo: Sie haben einen Ehrenplatz im Chor erhalten, zu beiden Seiten neben den Meisterwerken von Marc Chagall aus dem Jahr 1974.
Knoebels abstrakter Entwurf in den Grundfarben Blau, Gelb und Rot erstreckt sich über eine Fläche von 128 Quadratmetern. Seine Neuschöpfung repräsentiert den modernen Drang zu satten Farben - und bietet von jeder Farbe gleich mehrere Varianten. Knoebel selbst, "Minimal Artist", Beuys-Meisterschüler und 1940 in Dessau geboren, sieht seine Farben im architektonischen Sinne als eine Art Fundament eines zeitlosen Gleichgewichts.
Absage erwogen
Als vor einigen Jahren eine französische Delegation bei ihm in Düsseldorf auftauchte und ihm, der mit Religion doch eigentlich nicht viel im Sinn habe, den erstaunlichen Auftrag antrug, wollte er zunächst absagen. Am Ende besann sich seine Ehefrau Carmen auf eine Serie von "Messerschnitten" in den Farben Blau, Gelb und Rot, die Knoebel in den 70er Jahren geschaffen hatte. Sie bildeten schließlich die Grundlage für die nun fertiggestellten Fenster, deren Entwürfe die Glasmacher Simon Marq in Reims und die Werkstatt Duchemin in Paris umgesetzt haben.
Im Schicksalsjahr 1914, als die Deutschen die Kathedrale unter Feuer nahmen, schrieb Paul Fort (1872-1960), Poet des Symbolismus, traurig nieder: "Mit jeder Morgenröte neu erwacht, war sie mir treu, / Allüberall umgeben von Heiligen, Königen, Helden / Und dahinschwebenden Engeln, wie ein Baum voller Vögel." Der Beschuss war militärisch sinnlos, aber von hoher symbolischer Bedeutung am Krönungsort der französischen Könige, der sakralen Heimstätte der Nation.
Öl direkt vom Himmel
An einem Weihnachtstag - 498, 499 oder 496? - ließ sich der heidnische Frankenkönig Chlodwig in Reims, dem Hauptort der römischen Provinz Belgica secunda, taufen. Mit einem Öl, das direkt vom Himmel kam, so will es die Überlieferung: Eine Taube schwebte herab und brachte eine mit Chrisam gefüllte Phiole zu Bischof Remi. Es ist dieses Ereignis, dieser Genius loci, der die Stellung des Champagne-Städtchens über die Jahrhunderte begründete. Und natürlich den sukzessiven Ausbau der Bischofskirche zur Krönungskirche.
Wie die meisten mittelalterlichen Städte hatte auch Reims mit häufigen Feuersbrünsten zu kämpfen. 1210 brannte die romanische Kirche nieder. Ob nicht auch eine Restaurierung durchaus möglich gewesen wäre? Tatsache ist, dass Erzbischof Aubry (Alberich) de Humbert keineswegs vorhatte, hinter den immer prächtigeren Bischofskirchen etwa von Chartres, Laon, Soissons und Paris zurückzubleiben.
Schlüsselbauten der französischen Kathedralgotik
Notre-Dame in Reims zählt heute mit Chartres, Amiens und Bourges zu den Schlüsselbauten der französischen Kathedralgotik um 1200. Eine Besonderheit sind ihre rund 2.300 Steinskulpturen. Berühmt sind etwa die "Königsgalerie" oberhalb der Fensterrose und die Portalskulpturen, vor allem der "lächelnde Engel" mit seiner weltentrückten Heiterkeit.
Das Wüten der Französischen Revolution überstand ausgerechnet der Figurenschatz der Krönungskathedrale fast schadlos. Mehr Schaden hinterließen die Säureangriffe der täglichen Umweltverschmutzung, die die Figuren heute in einen teils beklagenswerten Zustand versetzen, sowie die Bombardierung durch die Deutschen im September 1914. Der Dachstuhl brannte, die Glocken schmolzen und ebenso das Blei der Glasfenster. Ein feuerfester Betondachstuhl wurde nach dem Krieg eingesetzt, unter anderem mit finanzieller Hilfe der Familie Rockefeller. 1937 wurde die Kathedrale neu geweiht - nur drei Jahre, bevor die Deutschen Frankreich erneut angriffen.
Deutsche Glasfenster für Frankreichs Krönungskathedrale
Ehrenplatz neben Chagall
Die Deutschen waren es, die die gotische Krönungskathedrale der Franzosen 1914 in Flammen bombten: die Kathedrale Notre-Dame in Reims. Ein Deutscher darf sie nun, fast 100 Jahre später, wieder in ein neues Licht bringen. Am Samstag werden Wolfgang Knoebels Fenster feierlich eingeweiht.
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