Theologieprofessor Wollbold befürchtet Polarisierung

Deutsche Kirche ein Sorgenkind?

Die katholische Kirche befindet sich auf dem "Synodalen Weg". Bischöfe und Gläubige wollen zwei Jahre lang über Fragen wie Macht, Rolle der Frau und kirchliche Sexualmoral diskutieren.

Gottesdienstbesucher hält ein Gotteslob in den Händen / © Jörg Loeffke (KNA)
Gottesdienstbesucher hält ein Gotteslob in den Händen / © Jörg Loeffke ( KNA )

Kritiker sehen mehr Schaden als Nutzen für die Kirche.

DOMRADIO.DE: Die Kirche hat hohe moralische Ansprüche an sich selber und an die Gläubigen. Bei den Missbrauchsfällen haben die Täter diese Ansprüche mit Füßen getreten und den Opfern schweren Schaden zugefügt. Ist es da nicht nachvollziehbar, dass die Bischöfe jetzt erst einmal versuchen, neues Vertrauen zu gewinnen?

Andreas Wollbold (Professor für Pastoraltheologie; Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München): Das ist absolut nachvollziehbar. Das Verkehrteste, was man hätte machen können, wäre sich wegzuducken und zu hoffen, dass die Zeit die Wunden heilt. Die Zeit wird in diesem Fall nicht die Wunden heilen, sondern die Wunden chronisch machen. Und das darf nicht sein. Um der Opfer willen um des Schadens willen, der entstanden ist, aber natürlich auch um der Kirche und ihres Auftrages willen, das Evangelium zu den Menschen zu bringen.

DOMRADIO.DE: Ausgangspunkt für den synodalen Weg waren ja die Missbrauchsfälle. Die Grundidee ist, den Missbrauch aufzuarbeiten und neues Vertrauen zu gewinnen. Warum gibt es denn dann aus Ihrer Sicht teilweise so starke Kritik am synodalen Weg?

Wollbold: Naheliegend ist die Nachfrage: Sind die großen Themen, die nun auch medial potenziert werden, die eigentlichen Herausforderungen, die aus der Studie über die Missbrauchsfälle abzuleiten sind? Ich glaube persönlich, dass man sehr viel präziser etwa Lebens- und Ausbildungsbedingungen von angehenden Priestern unter die Lupe nehmen könnte. Dass man erörtert, wie die Priester zum Beispiel beziehungsmäßig eingebaut sind oder wie im guten Sinn auch eine Sozialkontrolle möglich wäre. Das sind sehr konkrete Einzelfragen an Priester heute - Priester in der Kirche, Priester in den Gemeinden. Das wäre meines Erachtens zielführend. Ich habe den Eindruck, dass man im Grunde eher den Missbrauchsskandal genutzt hat, um große Themen, die schon seit Jahrzehnten kirchenpolitisch umstritten sind, jetzt zu einem bestimmten Ziel zu führen.

DOMRADIO.DE: Und dann gibt es ja auch Kritik daran, dass ein Thema eben nicht explizit genannt wird, nämlich das Thema Neuevangelisierung. Da heißt es immer wieder, jeder einzelne Christ müsse erstmal für sich selber, für den Glauben brennen. Persönliche Umkehr ist ein wichtiges Stichwort. Aber eigentlich ist das doch erstmal gar kein Widerspruch zum synodalen Weg?

Wollbold: Im Prinzip ist es kein Widerspruch, wenn Neuevangelisierung eine Grundperspektive für die Machtfrage, für die Frauenfrage, für die Priesterfrage wird. Das kann ich momentan allerdings noch nicht erkennen. Sondern ich habe den Eindruck, dass es einen Überhang bei Strukturfragen gibt, dass man die Vorstellung hat, wenn man Strukturen verändert, dann hat die Kirche ein für die Evangelisierung attraktiveres Gesicht. Das ist ein Irrweg.

DOMRADIO.DE: Aber ein Problem ist ja, dass die Täter in der Kirche natürlich ausschließlich fast Männer waren. Geweihte Männer haben die Macht in der Kirche. Ist es da angesichts der Missbrauchsfälle nicht auch angemessen, jetzt nochmal neu über die Rolle der Frau in der Kirche nachzudenken, zu diskutieren?

Wollbold: Das kann man machen, das soll man machen. Ich würde es allerdings von der Frage der Missbrauchsfälle abkoppeln, denn das Frauenthema ist in sich ein wichtiges Thema, das allerdings natürlich differenziert und entsprechend zur Identität der Kirche, ihrer Glaubenslehre und ihrer Amtstheologie behandelt werden muss.

DOMRADIO.DE: Aber dennoch ist es ja so, dass man sich überlegen muss, wie es jetzt mit der Kirche weitergehen kann. Muss man dann nicht auch überlegen, dass es einfach nicht reicht zu sagen "Wir müssen mehr neuevangelisieren", und die Probleme lösen sich von alleine?

Wollbold: Der Kern der Neuevangelisierung ist die Selbstevangelisierung. Das ist das, was die Päpste immer wieder seit 50 Jahren gesagt haben. Das heißt, im Kern geht es nicht darum, attraktiver zu sein, tolle Programme zu haben oder Schwung in den Laden zu bringen, sondern es geht ja tatsächlich um jeden Einzelnen, darum, dass er - wie Jesus sagt - ein reines Herz bekommt. Und das reine Herz ist die beste Garantie gegen alle Niedertracht, die sich gerade auch in den Missbrauchsfällen gezeigt hat. Darum geht es, das ist eine Aufgabe der gesamten Kirche, und erst von dieser inneren Bekehrung, Neuwerdung, ein neuer Mensch, eine neue Schöpfung werden, erst davon ausgehend, kann man überhaupt in rechter christlicher Art und Weise etwa das Thema Macht angehen. Jesus sagt, "bei euch soll es nicht so sein. Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein". Dafür braucht es diese Selbstevangelisierung, dieser Bekehrung des Herzens. Sonst wird Machtfrage im Grunde nur Politik.

DOMRADIO.DE: Erstaunlich war jedoch, dass der geplante synodale Weg auch in Rom für erhebliche Aufmerksamkeit gesorgt hat. Der Papst hat einen eigenen Brief dazu verfasst, der sehr unterschiedlich verstanden wurde. Ein Thema war auch die weltweite Wahrung der Einheit der Kirche. Ich kann mich an viele Konflikte in der Kirche erinnern, und immer wieder war da das Stichwort "Deutsche Nationalkirche". Da wurde schon vor 30 Jahren vor einem "deutschen Sonderweg" gewarnt. Ist das jetzt nicht auch ein bisschen Panikmache von den Kritikern?

Wollbold: Soweit man die Diskussion bisher beobachten kann, sind tatsächlich Themen angesprochen und Forderungen erhoben worden, die weltkirchliche Relevanz haben und die vor allem auch direkt in das Glaubensgut, die Glaubenslehre der Kirche eingreifen, also etwa Stichwort "Forderung der Priesterweihe für Frauen". Das ist natürlich nichts, was Deutschland entscheiden kann. Da sind wir in Deutschland - im Gegenteil - an die geltende Lehre gebunden. Das vermisse ich.

DOMRADIO.DE: Dennoch wird kein deutscher Bischof ernsthaft vorhaben, so etwas wie eine deutsche Nationalkirche zu gründen. Wäre es da nicht gut, wenn man sagen würde: "Wir müssen doch nicht immer gleich der Spaltung das Wort reden"?

Wollbold: Es gibt sicher eine Menge Aufregung auf allen Seiten, und in der Aufregung werden manchmal überzogene Kritiken, ungerechte Kritiken formuliert. Da mahne ich zu etwas ruhigerem Blut, zu Verständigungsbereitschaft und zur Differenzierung. Aber natürlich, es gibt zweifellos eine Gefahr, dass man in Deutschland denkt: "Wir machen jetzt einfach mal und hoffen, dass der Rest der Weltkirche nachzieht". Ich bekomme es aus der Weltkirche immer wieder mit, dass sich viele Sorgen machen, dass die Kirche in Deutschland ein bisschen so etwas ist wie die Kirche in Holland nach dem Konzil, also aus Sicht der Weltkirche doch eher ein Sorgenkind.

DOMRADIO.DE: Und klar ist ja auch, dass am Ende des Prozesses keine wirklich verbindlichen Beschlüsse herauskommen können. Jeder Bischof kann davon umsetzen, was er möchte oder eben auch gar nichts. Es gab ja auch deutsche Bischöfe, die den synodalen Weg jetzt kritisch-konstruktiv begleiten wollen und nicht so begeistert von dem Prozess sind. Wenn man sich anschaut, dass die Beschlüsse eben nicht verbindlich sind - wie groß ist denn die Gefahr, dass man zwei Jahre lang redet und letztlich dann doch nichts passiert oder Erwartungen geweckt werden, die dann am Ende gar nicht erfüllt werden können?

Wollbold: Zunächst ist natürlich die Erwartung einer Mehrheit, dass die öffentliche Meinung, der öffentlicher Druck das Übrige tun wird, dass Bischöfe, die sich irgendwelchen Beschlüssen verweigern, zumindest extrem in die Defensive gedrängt werden. Das ist für kirchliche Verständigungsprozesse sehr schlecht, denn so versucht man letztlich, den Druck von der Straße oder heute von den Medien und von der öffentlichen Meinung für kirchliche Selbstbesinnung zu nutzen. Das kann eigentlich nur schiefgehen. Ich denke, typisch für kirchliche Entscheidungsfindung ist die Orientierung am Konsens, dass man geistgewirkt nach dem sucht, dem alle zustimmen können. Jede Form von Entscheidungen, die letztlich auf Mehrheit gegen Minderheit läuft, ist der Kirche nicht angemessen und sollte gerade in so sensiblen Fragen wie den hier angesprochenen unbedingt vermieden werden.

DOMRADIO.DE: Welche Erwartungen oder Hoffnungen haben Sie für diesen zweijährigen Reformprozess?

Wollbold: Ich bin vom Naturell her eher ein nüchterner, manchmal etwas skeptischer Mensch. Und insofern muss ich auch bei diesem synodalen Weg sagen, dass meine Erwartungen gering sind. Ich befürchte, dass viel Aufmerksamkeit für Themen erregt wird, die im Grunde nicht wirklich zukunftsweisend für die Kirche sind und die uns im Gegenteil noch einmal in manche Ausweglosigkeiten der Nachkonzilszeit zurückführen werden, dass wir wertvolle Zeit verschenken, dass auch die notwendige Einheit der Kirche hierzulande darunter leiden wird, dass Gräben weiter aufgerissen werden, dass stärker polarisiert wird und dass die eigentliche Selbstevangelisierung überhaupt kein Thema mehr ist.

Das Interview führte Mathias Peter.

 

Quelle:
DR
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