Deutscher Pfarrer in London über antieuropäischen Wahlkampf in Großbritannien

Europäische Perspektiven

In vielen EU-Staaten setzen Rechtspopulisten auf den Frust über die Brüsseler Krisenpolitik. In Großbritannien könnte die "UKIP" gar stärkste Partei bei der Europawahl werden. Dazu Pater Christian Dieckmann in London.

Nigel Farage (Ukip) (dpa)
Nigel Farage (Ukip) / ( dpa )

domradio.de: In Großbritannien sorgt die Partei UKIP für Schlagzeilen - sie möchte das Königreich aus der EU nehmen. Welche Reaktionen löst das in England aus?

Pater Christian Dieckmann (Pfarrer der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde St. Bonifatius in London): Das Abschneiden von UKIP ist natürlich das mit Spannung erwartete Ergebnis bei dieser Europawahl. Daran wird sich zeigen, wie sehr die Euro-Skepsis hier tatsächlich verwurzelt und verbreitet ist. Wenn man mit Engländern spricht, hört man immer wieder sehr europakritische Töne. Man hat hier im Land immer das Gefühl, von Europa eher bevormundet und gegängelt zu werden anstatt dass es Vorteile mit sich bringt, in der europäischen Union zu sein. Mit dieser Grundstimmung im Herzen gehen die Briten zur Wahl, obwohl nicht mit einer sehr hohen Wahlbeteiligung gerechnet wird. Wenn man auf die letzten Europawahlen schaut, war sie immer unter 40 Prozent. Mit dem neuen Auftreten von UKIP ist das vielleicht etwas anders und wir müssen jetzt abwarten, in welche Richtung sich das bewegt.

Alle proeuropäischen Kräfte hier im Land versuchen natürlich dagegen zu steuern, aber haben keine wirkliche Bühne. Die Presse ist zu einem großen Teil anti-europäisch eingestellt und wer hier den Mut hat, als britischer Politiker für Europa zu sprechen, muss schnell damit rechnen, von der Presse niedergemacht zu werden. Das ist zurzeit keine besonders europafreundliche Stimmung hier im Land.

domradio.de: Normalerweise ist ja die Parteienlandschaft in Großbritannien nicht besonders bunt. Gibt es neben UKIP weitere Anti-Europa-Parteien?

Pater Dieckmann: Vergleichbar mit UKIP von der Masse der Leute, die vielleicht hinter ihnen stehen, ist keine andere Partei aus diesem Spektrum. Wenn man sich die großen Parteien einmal anschaut - die Conservatives und die Labour-Party - sie sind ja nicht dezidiert antieuropäisch, aber sie müssen in ihren Reihen sozusagen beide Strömungen miteinander versöhnen. Das ist ja auch der große Spagat, den Premierminister David Cameron mit seiner Regierung hier immer wieder versucht. Die einzige wirklich ausgesprochen und nahe zu 100 Prozent europafreundliche Partei sind die Liberaldemokraten, die ja mit den Konservativen zusammen die Regierung stellen. Sie haben allerdings in der Bevölkerung derzeit wegen einiger gebrochener Wahlversprechen keinen besonders großen Rückhalt, keinen besonders guten Ruf. Aber das wäre die einzige wirklich proeuropäische Partei, die anderen sind so ein bisschen "auf der Kippe" und UKIP ist da schon die Partei "rechts außen". Die neuste Nachricht ist, dass eine britisch-indische Studentin sehr pressewirksam aus der Jugendorganisation von UKIP ausgetreten ist und zwar mit der Begründung, dass die Partei sich immer mehr in Richtung einer rassistisch-populistischen Partei hin entwickelt. Also dieser Rassistenvorwurf steht jetzt auch noch einmal im Raum, unterfüttert von jemandem, der in der Partei war, der einen Migrationshintergrund hat und der diese Partei jetzt verlassen hat und das ist natürlich keine gute Wahlwerbung.

domradio.de: Wenn Sie sich in Ihrem Umfeld umschauen, woher kommt denn diese Ablehnung gegenüber Europa?

Pater Dieckmann: Ich kann es persönlich gar nicht so genau sagen, ob das in den britischen Genen liegt oder ob es noch seine Wurzeln in der Thatcher-Zeit hat. Man hat einfach hier im Land das Gefühl, dass man selbstständig besser dran wäre, wobei natürlich vieles da auch in der Bevölkerung verzehrt wahrgenommen wird. Denn Mitglied der europäischen Union zu sein, heißt ja für ein Land nicht, seine Selbstständigkeit aufzugeben. Parteien wie UKIP verstehen es aber sehr geschickt, entsprechende Vorurteile medienwirksam zu verkaufen und mit der Uninformiertheit auch in weiten Teilen der Gesellschaft Kapital zu schlagen. Was jetzt tatsächlich der Grund für die große Skepsis ist, würde mir schwer fallen zu benennen. Natürlich ist Europa nicht immer nur eine Erfolgsveranstaltung. Das muss man ja auch ganz ehrlich sagen. Trotzdem, wenn man es nüchtern anschaut, wird man sagen müssen, dass kein Land in der Europäischen Union besser da stände, wenn es die EU verlassen würde. Das wird auch mit Großbritannien so sein. Wobei hier noch eine spannende Situation im Moment dazu kommt, wenn man auf Schottland schaut. Die Schotten wollen später in diesem Jahr ein Referendum für die eigene Unabhängigkeit abhalten. Schottland selber ist aber ein europafreundlicher Teil dieses Vereinigten Königreiches, also die Schotten wollen auf jeden Fall in der EU bleiben, auch wenn sie vom restlichen Königreich unabhängig werden sollten.

Das Interview führte Christian Schlegel


Quelle:
DR