DOMRADIO.DE: Was hat Afghanistan Ihnen beigebracht?
Wilmer: Afghanistan hat mir beigebracht, dass wir als Bundesrepublik Deutschland in der Pflicht sind, dass wir auch als katholische Kirche in diesem Falle in der Pflicht sind, für die Menschen und für die Frauen und Männer in Afghanistan einzustehen. Es kann nicht sein, dass wir uns einfach aus diesem Land zurückziehen. Wir haben eine moralische Pflicht und es ist gut, dass wir über die Hilfswerke Misereor und Caritas nach wie vor im Land sind.
DOMRADIO.DE: Was kann die Bundesregierung konkret Ihrer Ansicht nach jetzt noch tun?
Wilmer: Wir sollten auf jeden Fall jenen Frauen und Männern, die mit den deutschen Streitkräften zusammengearbeitet haben - und zwar nicht erst ab 2013, sondern auch davor - die Möglichkeit bieten, nach Deutschland auszureisen. Weil wir Informationen darüber haben, dass Listen erstellt werden über Menschen, Afghaninnen und Afghanen, die früher mit den Deutschen zusammengearbeitet haben. Und diese Listen lassen nichts Gutes verheißen.
DOMRADIO.DE: Was können wir denn als Christen aus Afghanistan lernen, gerade auch, wenn wir an unsere Friedensbotschaft denken?
Wilmer: Als Christen können wir auf jeden Fall lernen, dass wir unsere jüdisch-christlichen Wurzeln ernst nehmen. Dass wir nicht zu schnell kommen mit Urteilen und einem Wissen, wie das Leben gehen kann, sondern dass wir lange hinhören, dass wir die Sprache lernen, dass wir mit den Menschen, die auch dort an Gott glauben, im Gespräch sind und dass wir den interreligiösen Dialog nicht nur hochhalten, sondern weiter ausbauen.
DOMRADIO.DE: Friedensarbeit ist letztendlich immer auch eine Frage nach der Gerechtigkeit. Was können wir überhaupt weltweit für den Frieden tun, wenn wir die Gerechtigkeit stärken wollen?
Wilmer: Ein Schlüssel ist für mich, dass sich niemand allein erlöst. Deutschland kann auch nicht allein sich auf eine Insel der Glückseligen zurückziehen und schon gar nicht Europa. Europa wird nur dann eine Zukunft haben, wenn wir auch Afrika, Asien und Lateinamerika in den Blick nehmen. Es geht nur dann, wenn wir die große Menschheitsfamilie zusammenhalten. Papst Franziskus hat Recht, wenn er sagt, das große Haus will gemeinsam bewohnt und gemeinsam verantwortet werden.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.