DOMRADIO.DE: Woran liegt es denn, dass Alleinerziehende im Verhältnis so unzufrieden sind?
Ulrike Gebelein (Diakonie Deutschland, Kinderpolitik, Familienförderung und Evangelische Familienerholung): Alleinerziehende stehen letztendlich vor denselben Herausforderungen wie alle anderen Familien. Das jedoch aber in verstärktem Maße, denn sie sind auf sich allein gestellt. Sie müssen allein für das Familieneinkommen, für die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder sorgen.
Wenn sie dann auch noch auf dem Land wohnen, haben sie häufig noch Probleme mit der Mobilität. Oft können sich Alleinerziehende kein Auto leisten und der öffentliche Nahverkehr ist auch nicht so gut ausgebaut. Dann fehlt es auf dem Land oft auch an bedarfsgerechten Kinderbetreuungsangeboten.
Ein weiterer Punkt ist, dass viele Alleinerziehende trotz ihrer guten Ausbildung nach einer Trennung oder Scheidung in der sogenannten Teilzeitfalle hängen. Das heißt, sie verfügen über ein geringes Einkommen und müssen dann auch noch mit Betreuungslücken jonglieren. Es fehlen über 370.000 Betreuungsplätze in Kindertagesstätten, Schließzeiten werden verkürzt, manche Kindertageseinrichtungen müssen sogar aufgrund von Personalmangel schließen.
Das stellt insbesondere Alleinerziehende vor große Herausforderungen. Die Situation ist noch zugespitzter, wenn sie auf kein soziales Netzwerk zurückgreifen können, dass mal die Kinder von der Kita oder von der Schule abholen kann.
DOMRADIO.DE: In dieser Hinsicht ist ein gesellschaftlicher Wandel zu beobachten. Warum gibt es immer mehr Alleinerziehende?
Gebelein: In den letzten Jahrzehnten haben sich das Familienleitbild und die traditionellen Rollenbilder geändert. Es gibt unheimlich viele Familienmodelle und Formen. Natürlich gibt es immer noch die traditionelle Vater-Mutter-Konstellation, aber es wächst auch der Anteil von Familien, in denen die Eltern ohne Trauschein zusammenleben, von Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien und Adoptivfamilien.
Für Eltern wird es immer schwieriger, für sich die geeignete Form zu finden. Gerade in Übergangsphasen, wenn das erste Kind kommt und aus einer Paar-Beziehung eine Eltern-Beziehung wird und es mit der partnerschaftlichen Aufteilung der familiären Aufgaben nicht so klappt und berufliche Herausforderungen dazukommen, wird die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit immer größer.
Das führt zu Frustration, gegenseitigen Schuldvorwürfen und letztendlich zu einer Trennung. Wobei man auch sagen muss, dass die wenigsten Mütter oder Väter sich vorgenommen haben, ihr Leben mit einem Kind als Alleinerziehende zu führen. Zumal wenn die Situation durch den Tod eines Partners oder einer Partnerin eintritt.
DOMRADIO.DE: Was müsste der Staat denn tun, um dieser immer größer werdenden Gruppe von Alleinerziehenden mehr Wertschätzung entgegenzubringen?
Gebelein: Generell ist es Aufgabe der Familienpolitik, Eltern dabei zu unterstützen, das Beste für ihre Kinder und die ganze Familie auch nach Trennung und Scheidung zu erreichen. Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung mit den Kosten und Preissteigerungen ist es mehr denn je dringend geboten, das Augenmerk auf die sozioökonomischen und rechtlichen Bedingungen von alleinerziehenden Müttern und Vätern zu richten. Deshalb ist uns die Einführung einer Kindergrundsicherung so wichtig.
Familien brauchen Anlaufstellen vor Ort. Uns ist wichtig, dass die familienunterstützenden Angebote wie die Familien- und Erziehungs-Beratungsstellen, aber auch die Familienbildung und die Familienerholung wie auch andere allgemeine Sozialberatungen zum Beispiel zu finanziellen Fragen, gestärkt werden.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Diakonie, um Alleinerziehende zu unterstützen?
Gebelein: Die Allgemeine Sozialberatung der Diakonie hilft bei der Beantragung von staatlichen Familienleistungen wie dem Kinderzuschlag, dem Unterhaltsvorschuss oder anderer sozialer Leistungen.
Viele Beratungsstellen von Kirche und Diakonie bieten Eltern bei Konflikten Beratung auch in Fragen zu Trennung und Scheidung an und helfen mit Seminaren oder Treffpunkten, die Anlaufstellen für getrennte Eltern sein können.
Die evangelische Familienerholung organisiert Freizeiten für Alleinerziehende. Dort können sich Eltern mit ihren Kindern eine Auszeit vom Alltag nehmen, andere alleinerziehende Familien kennenlernen und Kinder an einem kostenlosen Ferienprogramm teilnehmen, auch mit kleinem Geldbeutel.
Das Interview führte Tim Helssen.