Diakonie stuft die Lage in Pflegeheimen als dramatisch ein

"Wir sind bereits mitten in einer akuten Pflegekrise"

Pflegegipfel, Masterplan: Die Diakonie fordert drastische Maßnahmen, um einen Kollaps in der Altenpflege abzuwenden. Schon jetzt müssten viele Heime und Pflegedienste Kunden abweisen und Leistungen einschränken.

Autor/in:
Christoph Arens
Symbolbild Pflege / © Halfpoint (shutterstock)

Lange Wartelisten für das Altenheim. Ambulante Pflegedienste, die keine neuen Kunden mehr annehmen können. Und immer mehr Anbieter, die Insolvenz anmelden. Glaubt man Experten, ist die Langzeitpflege in Deutschland in einer dramatischen Krise.

Maria Loheide, Diakonie Deutschland / © Jens Büttner (dpa)
Maria Loheide, Diakonie Deutschland / © Jens Büttner ( dpa )

"Wer heute pflegebedürftig wird, kann nicht darauf vertrauen, dass er zeitnah die nötige professionelle Pflege erhält", sagt Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik beim evangelischen Wohlfahrtsverband Diakonie Deutschland. "Wir sind bereits mitten in einer akuten Pflegekrise."

Dass die Gesellschaft das so relativ klaglos hinnimmt, wundert Loheide und den Chef des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege, Wilfried Wesemann, nicht so richtig: Wenn zu Ferienzeiten an Flughäfen wegen Personalmangels Flüge ausfielen, sei das tagelang Thema. "Aber die meisten Menschen befassen sich erst mit dem Thema Pflege, wenn Angehörige oder sie selber betroffen sind", weiß Loheide. Doch dann brennt oft der Baum.

89 Prozent lehnen Neukunden ab 

Wie groß die Krise ist, zeigt eine am Dienstag in Berlin veröffentlichte Umfrage bei insgesamt 655 Pflegeeinrichtungen und Diensten der Diakonie: Danach mussten 72 Prozent der Pflegeheime und 91 Prozent der ambulanten Dienste in den vergangenen 6 Monaten Leistungen aus personellen Gründen einschränken.

Konkret lehnten 89 Prozent der ambulanten Pflegedienste Neukunden bisweilen ab. In der stationären Pflege konnten 56,49 Prozent der Träger Betten in den letzten 6 Monaten nicht belegen; 50 Prozent gaben als Grund fehlendes Personal an.

Als wichtigste Ursache für den Personalmangel ermittelte die Umfrage kurzfristige Erkrankungen (73 Prozent), die Nichtbesetzung offener Personalstellen (67 Prozent) und langfristige Erkrankungen (66 Prozent). 25 Prozent nannten auch die Verrentung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - ein Problem, dass sich dramatisch verschärfen dürfte. In den kommenden zehn Jahren werden eine halbe Millionen Pflegekräfte in den Ruhestand gehen.

Stellen bleiben länger unbesetzt

Schon jetzt dauert es in stationären Einrichtungen laut Umfrage drei bis sechs Monate, um eine freie Stelle wieder zu besetzen. In der ambulanten Pflege sind es bei Fachkräften sogar neun bis zwölf Monate. Aus Sicht der Diakonie tut sich ein Teufelskreis auf. Schon jetzt sei der Personalschlüssel zu knapp bemessen, sagt Loheide.

Viele Pflegekräfte seien deshalb überfordert und verließen den Beruf. Dass manche Pflegeeinrichtungen in ihrer Existenz bedroht sind, davor hatte kürzlich auch der Geschäftsführer des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD), Andreas Wedeking, gewarnt.

Steigende Personalkosten, massiv gestiegene Energiepreise, Inflation und die teuren Infektionsschutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie gingen manchen Betreibern an die wirtschaftliche Substanz, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Betten bleiben leer, trotz Nachfrage

Die Heime könnten gestiegene Personal- und Sachkosten nicht einfach durch Preiserhöhungen auffangen, sondern müssten mit Pflegekassen und Sozialhilfeträgern die Pflegesätze aushandeln. Und das dauert. Der Caritas-Experte bestätigte, dass Heimbetreiber Betten leer stehen ließen, obwohl eine große Nachfrage bestehe. "Das ist allemal günstiger, als Personallücken durch Zeit- und Leiharbeit auszugleichen."

Diakonie und Wedeking kritisieren eine massive Überregulierung und Bürokratisierung der Pflege. "Alles wird bis in die kleinsten Verästelungen kontrolliert - das wird immer schlimmer", sagte Wedeking. Als ein Beispiel nannte er die Fachkraftquote. "Es ist richtig, wenn den stationären Einrichtungen eine gesetzliche Fachkraftquote von 50 Prozent vorgegeben wird", betonte er. "Aber dieses Fachpersonal brauche ich nicht rund um die Uhr, sondern nur zu bestimmten Zeiten in der Woche oder am Tag." Die Heimaufsicht aber verlange diese Quote tagesgenau.

Dem Bundesgesundheitsminister bescheinigte die Diakonie ein mangelndes Interesse am Thema Pflege. Die jüngst von Karl Lauterbach (SPD) vorgelegten Reformvorschläge seien allenfalls ein Reförmchen, sagte Wesemann. Er appellierte an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), zu einem Pflegegipfel einzuladen, bei dem ein Masterplan für die Zukunft der Pflege entwickelt werden sollte.

Diakonie Deutschland

Die Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirchen. Sie versteht ihren Auftrag als gelebte Nächstenliebe und setzt sich für Menschen ein, die am Rande der Gesellschaft stehen, die auf Hilfe angewiesen oder benachteiligt sind. Neben dieser Hilfe versteht sie sich als Anwältin der Schwachen und benennt öffentlich die Ursachen von sozialer Not gegenüber Politik und Gesellschaft. Diese Aufgabe nimmt sie gemeinsam mit anderen Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege wahr.

Diakonie (Symbolbild) / © Tobias Arhelger (shutterstock)
Diakonie (Symbolbild) / © Tobias Arhelger ( shutterstock )
Quelle:
KNA