Diapsora-Aktion 2016: Hospiz gibt Zeugnis von gelebtem Christentum

Sterbende begleiten, Trauernde trösten

Für Angehörige ist es oft schwer, die Sterbenden ins Hospiz zu bringen. Das ist beim Caritas-Hospiz Berlin auch nicht anders. Die Diaspora-Aktion 2016 des Bonifatiuswerks unterstützt dieses Projekt.

Autor/in:
Alfred Herrmann
Im Gästezimmer: das Pflegepersonal hat viel Zeit für die einzelnen Gäste.  / © Alfred Herrmann (Bonifatiuswerk)
Im Gästezimmer: das Pflegepersonal hat viel Zeit für die einzelnen Gäste. / © Alfred Herrmann ( Bonifatiuswerk )

"Das Schlimme ist: Man weiß, es gibt kein Zurück. Aber ich konnte ihn nicht mehr zu Hause pflegen." Ilona Franke steigen die Tränen in die Augen. Schwester Margret legt vorsichtig die Hand auf den Arm der 71-Jährigen. Die beiden Frauen haben sich an den kleinen Tisch ins Zimmer zurückgezogen. Herr Franke sitzt in seinem Rollstuhl in der Nachmittagssonne auf der Terrasse. 49 Jahre sind sie verheiratet. Vor vier Jahren erlitt der 81-Jährige dann einen Schlaganfall. Ein langer Leidensweg begann, der nun zu Ende geht im Caritas-Hospiz in Berlin-Pankow. "Jedes Mal freue ich mich, wenn ich ihn am Morgen wieder antreffe. Ich habe Angst vor dem Tag, an dem es nicht mehr so ist." Seit sechs Wochen kommt Ilona Franke Tag für Tag ins Hospiz. Hier wird ihr Mann sterben, ist sich Ilona Franke bewusst. An diesem Ort verbringt das Ehepaar seine letzten gemeinsamen Tage.

"Der Platz im Hospiz war für mich einerseits befreiend, andererseits besiegelt er das Endgültige", beschreibt sie ihre Gefühle. Innerlich sei sie zerrissen, spüre sie die Hilflosigkeit. Die Gespräche mit Schwester Margret erlebt sie als Befreiung. Gegenüber der Hospiz-Seelsorgerin kann sie sich öffnen, endlich über ihre Gefühle, ihre Trauer sprechen.

Den Ängsten begegnen

Im grauen Schwesternkleid ist Schwester Margret Steggemann sofort als Ordensfrau zu erkennen, als eine Frau, die fest im christlichen Glauben steht. Die Mauritzer Franziskanerin besucht fast täglich die Gäste, so bezeichnet sie die Bewohner des Hospizes. "Oft bin ich einfach nur da und höre zu. Ich versuche, die Nöte der Sterbenden mitzutragen." Den Ängsten der Sterbenden begegnet die Hospiz-Seelsorgerin auch, indem sie an den gütigen und barmherzigen Gott erinnert. "Für die letzten Lebenstage möchte ich den Menschen die Zuversicht schenken: ‚Ja, ich komme da oben gut an.‘" Von Gott zu sprechen, das ist in Pankow keine Selbstverständlichkeit. Immerhin ist die überwiegende Mehrheit der Berliner, 63 Prozent, religionslos. Das zeigt sich auch im Hospiz. Die meisten der 200 Hospizgäste im vergangenen Jahr hatten in ihrem Leben nur wenig Bezug zu Religion und Kirche."In den letzten Stunden des Lebens wird ein Mensch auf die letzten Dinge zurückgeworfen. Ob er es will oder nicht, es kommt", berichtet Schwester Margret aus ihrer Erfahrung.

"Im Durchschnitt bleibt ein Gast drei bis vier Wochen", erklärt Joachim Müller, Leiter der Einrichtung. Das Caritas-Hospiz Pankow ist die einzige katholische Einrichtung dieser Art in Berlin. Seit 2010 zeugt es vom gelebten christlichen Glauben in der Großstadt. "Christsein muss sich hier bewähren, es muss authentisch und glaubwürdig sein", weiß Müller. "Mit unserer täglichen Arbeit machen wir für viele Christentum erlebbar. Im Hospiz zeigt sich, was Christsein in der heutigen Zeit bedeuten kann." Das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken unterstützt die Arbeit des Caritas-Hospizes. Das Spendenhilfswerk fördert die Seelsorge für die Gäste und die Arbeit mit Angehörigen. "Sterbende begleiten und Trauernde trösten, mit diesen Werken der Barmherzigkeit gibt das Caritas-Hospiz ein tiefes Zeugnis gelebten Glaubens mitten in der Diaspora", betont Monsignore Georg Austen. Bei der bundesweiten Diaspora-Aktion am 20. November sammelt das Hilfswerk auch für die Hospiz-Arbeit.

Sorge um die Angehörigen

"Möge uns allen die Lebensfreude immer neu geschenkt werden, die, so hoffen wir, die Verstorbenen schon jetzt für immer genießen", betet Schwester Margret. Angehörige, Pflegekräfte und ehrenamtliche Trauerbegleiterinnen haben sich im Konferenzraum versammelt. Auf dem Boden stehen eine leere Glasschale und die brennende Osterkerze. Auf einem Tisch im Hintergrund liegen 42 Holzkreuze, jedes mit einem Namen versehen. Nach einem halben Jahr lädt das Caritas-Hospiz die Angehörigen ein, an den Ort zurückzukommen, an dem ihre Mütter, Väter, Ehefrauen, Ehemänner, Freunde und Freundinnen von ihnen gegangen sind. Die Sorge um die Angehörigen reicht über den Tod des Gastes hinaus.

Schwester Margret verliest Name für Name. Kreuz für Kreuz legt eine Pflegekraft in die Glasschale. Schließlich ziehen alle in einer Prozession durchs Haus in den "Raum der Stille". In der kleinen Kapelle legt Schwester Margret die Kreuze aus der Glasschale in eine transparente Säule zu den Kreuzen der im vergangenen Jahr Verstorbenen. Ein tiefer Moment. Die Ordensfrau betet das Vaterunser. Einige beten mit. "Es tut gut, an diesen Ort zurückzukommen", meint Youssef Tourtour im Anschluss. "Es hilft mir, das Ganze noch einmal Revue passieren zu lassen." Das Ritual empfand er als hell, menschlich und lebensbejahend. Die Vorstellung, dass seine Mutter in der Lebensfreude angekommen ist, frei von Schmerz und Leiden, wie es Schwester Margret im Gebet formulierte, schenkt ihm Trost und Zuversicht: "Das kann ja nicht das Ende gewesen sein, man will sich ja wiedersehen."


Mit einem Kreuz wird jedem verstorbenen Gast gedacht. / © Alfred Herrmann (Bonifatiuswerk)
Mit einem Kreuz wird jedem verstorbenen Gast gedacht. / © Alfred Herrmann ( Bonifatiuswerk )
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