Zur Situation der Christen in Nordeuropa

Diaspora, Hilfswerke und Corona

Wie können Hilfswerke arbeiten, wenn in den Gottesdiensten keine Kollekten oder Spenden gesammelt werden? Eine große Herausforderung, auch für das Bonifatiuswerk, das unter anderem Katholiken in Nordeuropa unterstützt.

Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken (Bonifatiuswerk)
Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken / ( Bonifatiuswerk )

HIMMELKLAR: Wie geht es den Christen, für die es schon immer nicht selbstverständlich war, Eucharistie feiern zu können? Sie kümmern sich zum Beispiel um die Christen in Ostdeutschland oder in Nordeuropa. Wie sieht denn bei denen das gottesdienstliche Leben aus, wenn nicht jeden Sonntag ein Priester kommt?

Msgr. Georg Austen (Generalsekretär des Bonifatiuswerks der deutschen Katholiken): In Nordeuropa gehören der Katholischen Kirche zwischen einem und drei Prozent der Menschen an. Die Menschen sind es gewohnt, nicht jeden Sonntag die Eucharistie feiern zu können. Da ist auch die Herausforderung, in einer Vereinzelung der Diaspora zu sein, den Glauben zu leben und dem Glauben ein gewisses Ritual, eine Struktur zu geben: Für mich persönlich im Gebetsleben, aber auch bei der Suche nach anderen Kontakten, gerade auf digitalem Wege. Es können mehrere tausend Kilometer Entfernung sein, wenn es beispielsweise um die Firmvorbereitung geht.

Gerade die traditionellen Gebetsformen, Rosenkranzgebete und auch Wortgottesdienste spielen dort eine wichtige Rolle. Oft in sehr kleinen Zahlen. Da merkt man, dass der Einzelne eben auch zählt.

Wenn es eine Beerdigung ist und es um Trauer geht, wird es schwierig. Was auch sehr bedrückend ist für viele, ist die Verscheibung der Kommunionsfeiern und Firmungen. Das kirchliche Leben erfährt zum Schutz der Menschen im Moment eine ganz andere Form. Vieles sortiert sich neu und wird sich neu bilden. Manche sagen ja auch: Ist diese Form, die wir dort erleben, die leeren Kirchen, die man jetzt in den Zeiten vor Augen hatte, vielleicht ein Bild dafür, wie es uns auch in Zukunft als Christen geht? Kommen wir noch mehr in eine Minderheitensituation? Oder werden wir durch diese Krise in Solidarität zusammengeschweißt? 

HIMMELKLAR: Heißt das denn, dass die Menschen zum Beispiel in Nordeuropa besser vorbereitet gewesen sind?

Austen: Nein. Das ist genauso überraschend für sie gekommen. Das Bedrückende, das Herausfordernde, wo Kirche auch erlebbar wird und mitträgt, das ist genauso wie bei uns auch. Das würde ich im gesamten Kontext von Europa sehen. Wenn nicht sogar weltweit, das verbindet uns.

HIMMELKLAR: Ihre Arbeit als Bonifatiuswerk besteht ja unter anderem auch darin, dass Sie Freiwillige und Praktikanten nach Nordeuropa schicken. Sind jetzt noch welche da? Was hören Sie von denen?

Austen: Wir sind sehr sehr gut mit denen in Verbindung. Aus Estland und Lettland sind die Praktikanten zurückgekommen, alle anderen sind in ihren Einsatzstellen in Nordeuropa geblieben. Sie haben dies persönlich und eigenverantwortlich entschieden. Wir haben dies miteinander besprochen. Sie erleben natürlich auch die Situation in den Ländern, sei es in Island, Finnland und Schweden mit und versuchen, dort das zu tun, was sie können unter veränderten Bedingungen. 

HIMMELKLAR: Wie schlagen Sie sich gerade finanziell, wenn die Kollekten fehlen?

Austen: Ich würde nicht zuerst aufs Geld schauen, obwohl wir nur dank der Spenderinnen und Spender helfen können, dass Projekte durchgeführt werden können. Für uns war die erste Reaktion auch: Wie können wir jetzt, wenn Erstkommunion- und Firmfeiern ausfallen oder die Gottesdienste in einer anderen Form an den Sonntagen gefeiert werden, die Menschen verbinden und auch Hilfsmittel sehr innovativ über verschiedenste Formen, auch der Medien, weitergeben? Wie können wir die Leute stärken? Wie können wir sie unterstützen? Wir haben auch viele Leute angerufen, unsere Spender, um einfach auch ein Zeichen der Verbindung zu setzen. Dies mit sehr positiven Rückmeldungen.

Wir fragen uns: Wie können wir dort auch weiterhin den bewilligten Projekten zur Seite stehen, wo ja auch vieles wegbricht? Oder gerade auch, wenn in der Corona-Pandemie neue pastorale Formen, die in dieser Zeit notwendig sind, auch hier in Deutschland im Osten unterstützen?

Ein Hilfswerk kann auch nur mit den Mitteln helfen, die uns zur Verfügung gestellt werden für die Projekte. Genauso am Diasporasonntag, wenn es um die Kollektenmöglichkeiten geht. Wir wissen nicht, in welcher Form und mit wie vielen Leuten kann in der Zeit dann auch Gottesdienst gefeiert werden.

Wir können nur auf Sicht fahren und hoffen, dass dem Hilfswerk auch die Möglichkeit gegeben wird durch Spenden und Unterstützung. Da haben wir Gott sei Dank sehr verbindende und verbindliche Menschen, die uns auch zur Seite stehen.

HIMMELKLAR: Kann man die Proejkte denn überhaupt weiter durchführen, wenn die Menschen gar nicht mehr so wirklich Kontakt zueinander haben können?

Austen: Es gibt ja viele Projekte, wo es gerade darum geht, dass Menschen Kontakt zueinander haben. Ich denke zum Beispiel an die sogenannten Boni-Busse. Über 600 davon fahren in Deutschland, die Menschen besuchen, die auch zum Transport von Schutzkleidung gebraucht werden oder die Gemeinden auch zum Gottesdienst fahren und zusammenbringen können. Das ist ja jetzt wieder möglich. Sehr viele Helfer sind mit im Einsatz.

Oder das Clubhaus am Trauerberg in Brandenburg, wo eine Notbetreuung angeboten wird für Kinder, deren Eltern derzeit aufgrund ihrer Arbeit im Krankenhaus, in Praxen, in Lebensmittelgeschäften auch eine Betreuung brauchen. Oder die Lazarus-Dienste in Stralsund, die Telefonhotlines anbieten für Menschen, die isoliert sind oder sich einsam fühlen. Da sind schon sehr viele Dinge, die auch derzeit passieren. Aber es gibt manche Dinge, die dann eben auch verschoben werden.

Alles was bewilligt ist, werden wir natürlich unterstützen und dann hoffentlich wieder in bessere Zeiten gehen. 

HIMMELKLAR: Was bringt Ihnen Hoffnung in der aktuellen Zeit?

Austen: Mir bringt Hoffnung, wenn ich Menschen begegne mit allen Fragen und Sorgen, die spüren lassen, dass sie aus der Zuversicht des Glaubens leben. Die den Blick für Andere behalten und mit anpacken. Wir können gemeinsam auch sehen, wo wir Zuversicht stiften können, solidarisch handeln, aber auch miteinander den Weg gehen, der jetzt notwendig ist.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.


Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht (MDG)
Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht / ( MDG )