Die Abstinenz-Erziehung in den USA gerät in Bedrängnis

Kein "Nein" mehr bis zum "Ja-Wort"?

Mit der Macht des scheidenden US-Präsidenten George W. Bush schwindet auch die Zugkraft einiger seiner Ideen. Neben einem Kurswechsel in der US-Außenpolitik wartet die erstarkte demokratische Opposition darauf, auch innenpolitisch neue Weichen stellen zu können. Ein besonderer Dorn im Auge der Liberalen sind vor allem werteorientierte Fragen. So gerieten in den vergangenen Monaten die so genannten Virginity Rules (Anleitungen zur Jungfräulichkeit) und die landesweit rund 700 Programme zur sexuellen Enthaltsamkeit zunehmend unter Beschuss.

 (DR)

Bei den "Abstinence only"-Programmen für öffentliche Schulen, einem zentralen Projekt der christlichen Konservativen, handelt es sich um einen Unterricht, der alle Sexualkontakte vor der Ehe als unmoralisch ablehnt. Kritiker bemängeln dabei eine nur lückenhafte Aufklärung sowie das völlige Fehlen von Informationen zum Umgang mit Verhütungsmitteln.

Elf US-Bundesstaaten haben den Enthaltsamkeits-Unterricht für dieses Jahr abgelehnt. Staaten wie Colorado, Iowa und Washington schrieben in ihre Schulgesetze, dass solche Programme künftig auf einer breiten "wissenschaftlichen Basis" gründen müssen. Zudem kürzte der US-Senat zum ersten Mal seit Bushs Amtsantritt 2001 das Budget - das sich seitdem auf umgerechnet 129 Millionen Euro verfünffacht hatte.

Gegnern der Enthaltsamkeits-Philosophie kam im April eine Langzeit-Studie zur Hilfe, die erstmals umfassend die Wirksamkeit der schulischen Abstinenz-Programme untersuchte. Das Mathematica Policy Institute fand keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sie helfen, den Beginn der sexuellen Aktivität von Teenagern zu verzögern.

Allerdings sind Teenager laut Studie insgesamt vorsichtiger geworden mit dem "ersten Mal" - und greifen eher zu Verhütungsmitteln als früher. Die ausgewerteten Regierungsstatistiken belegen, dass dieser Trend bereits einsetzte, bevor das Abstinenz-Programm zu einer landesweiten Initiative herangewachsen war. Seit 1991 sinken in den USA die viel diskutierten Raten von Teenager-Schwangerschaften.
Merkwürdigerweise ist jedoch in Bushs Heimatstaat Texas alles anders, wo das evangelikale Christentum floriert. Texas allein bekommt für die Abstinenz-Erziehung insgesamt 12,4 Millionen Euro, mehr als jeder andere US-Bundesstaat. Die Frage nach der Jungfräulichkeit ist hier so normal wie die nach dem Glauben.
Plakate mit ernst blickenden jungen Menschen stehen entlang der Highways mit der Aufschrift: "Nein lautet meine Antwort bis zu meinem Ja-Wort". Doch die Zahl der Teenager-Schwangerschaften ist in Texas am wenigsten rückläufig.

Zahlreichen Abstinenz-Befürwortern geht es bei ihrem Engagement weniger um die Verhinderung von frühen Schwangerschaften und HIV-Infektionen als vielmehr um seelische Rettungsarbeit. "Sex wurde gemacht, um zwei Menschen aneinander zu binden", erläutert Eric Love, verantwortlich für den Abstinenz-Unterricht im Nordosten von Texas. Wer diese Bindungskraft beschmutze, brauche sich nicht zu wundern, dass die spätere Ehe nicht halte. Das sei beim Menschen wie beim Klebeband: "Einmal beschmutzt, haftet es nicht mehr gut".