Die berühmte Wieskirche zwischen Glaube und Massentourismus

Hollywood statt Herzensruhe

Die berühmte Wieskirche im oberbayerischen Pfaffenwinkel ist nicht nur Schatz des Rokoko und Weltkulturerbe, sondern vor allem ein Ort der Ruhe und des Glaubens. Die meisten Besucher kommen aber nicht zum Beten.

Autor/in:
Bernd Buchner
Wieskirche / © Dieter Mayr (KNA)
Wieskirche / © Dieter Mayr ( KNA )

Bruno Brilinski steht vor der Wieskirche und strahlt mit der Sonne um die Wette. "Sagenhaft", so sein Eindruck des Gotteshauses. Der 70-Jährige aus Schwäbisch Hall ist jedes Jahr mit Pensionären seiner früheren Firma unterwegs, dieses Mal ging es in den Pfaffenwinkel.

Auch Fumiyo Hato (73) aus dem japanischen Yokohama und ihr 19-jähriger Enkel Yuto sind begeistert. Das Deckenbild in der Kirche hat es ihnen angetan. "It is a catholic church?" fragt Fumiyo neugierig, ist das eine katholische Kirche? Großmutter und Enkel bleiben im Eingangsbereich stehen, zücken ihre Kameras.

Erwin Bahr (58) und seine vier Jahre jünger Frau Judith sind selbst katholisch, stammen aus Neuburg an der Donau. Sie sitzen in der ersten Reihe, haben die Hände für einen kurzen Moment gefaltet. Jedes Jahr kommen sie in die Wies, "wenn es ausgeht von der Zeit", sagt Erwin. Er war schon im Kindesalter häufig hier. Für das Ehepaar ist der regelmäßige Besuch eher Besinnung als Besichtigung. Judith wirft ein Geldstück ein, zündet eine Kerze an: "Wenn eine Not ist, sagt man immer: Herrgott, hilf. Aber Danke muss man doch auch sagen."

Grund zur Dankbarkeit gibt es auch für die Wieskirche selbst. Das berühmte Gotteshaus im Allgäu war in seiner Geschichte mehr als ein Mal von Zerstörung bedroht. 1745 bis 1754 errichtet, wurde die Kirche im Zuge der Säkularisation "für 3.000 Gulden als Steinbruch ausgeschrieben", wie Wallfahrtsleiter Gottfried Fellner berichtet.

Die benachbarten Bauern verhinderten den Abriss, indem sie behaupteten, die Wies sei ihre Pfarrkirche. Die Nazis schließlich wollten das Juwel des süddeutschen Rokoko zu einem Tanzsaal machen - es wurde ihnen zu kalt, da die Kirche nicht beheizbar ist.

In diesem Jahr erinnert die Wieskirche an den 250. Todestag ihres Erbauers Dominikus Zimmermann (1685-1766). Etwa eine Million Besucher werden pro Jahr gezählt, von Mai bis Oktober dauert die Wallfahrtssaison. Viele kommen mit Reisegruppen oder streifen die Kirche bei einem Fahrradausflug. Doch echte Pilger sind nur wenige zu sehen. Die Sprachenvielfalt reicht von Englisch, Spanisch und Niederländisch über Russisch und Polnisch bis zu asiatischen Klängen in allen Färbungen. Babylonische Begeisterung.

Zwischen Glaube und Massenandrang

Und das Beten? Wieskurat Fellner sieht einen deutlichen Zwiespalt zwischen Glaube und Massenandrang. Ein Dorn im Auge sind ihm die "reinen Touristen", die die 1983 ins UNESCO-Welterbe aufgenommene Wies nur als Museum sähen. Er schätzt ihren Anteil auf bis zu 80 Prozent. Münchner Studierende haben herausgefunden, dass der durchschnittliche Besucher etwa zwölf Minuten in der Kirche bleibt.

"Klick klick, dann sind sie wieder fort", sagt Fellner.

Er kämpft auch gegen Respekt- und Ehrfurchtslosigkeit, einmal platzte dem 71-Jährigen der Kragen an diesem heiligen Ort: "It's a holy place, not Hollywood!" Mit Hilfe der Diözese Augsburg will Fellner deshalb einen Besucherdienst einrichten, der dafür sorgt, dass die Leute nicht mit Hunden, Eis oder Coffee to go in die Kirche marschieren. Kürzlich wurde eine Art Ampelsystem eingeführt, mit grünen, gelben und roten Zeiten. Bei Grün dürfen die Touristen rein, in gelben Phasen gibt es keine Garantie auf Zutritt, und Rot bedeutet: Gottesdienst statt Schnappschuss. Ein richtiges Besucherzentrum, wie an UN-Welterbestätten erwünscht, kam bisher wegen örtlicher Befindlichkeiten nicht zustande.

Ihren Ursprung hat die Wallfahrt "zum gegeißelten Heiland" in einem Kunstwerk, das am Altar der Wieskirche zu sehen ist. Der sogenannte Wiesheiland vergoss 1738 nach dem Zeugnis einer Reihe von Menschen Tränen. Dieses Wunder zog fortan unzählige Pilger an, jedes Jahr kamen Zehntausende Gläubige - und verbreiteten den Heiland in ganz Europa. In 4.500 Kirchen ist er noch heute zu finden. Fellner will die religiöse Bedeutung des Ortes und die alten internationalen Verbindungen wieder stärken. "Das ist mein großes Anliegen. Wir wollen diese Kontakte wieder knüpfen."

Trotz allem ein Kraftort

Denn, das wird der Geistliche nicht müde zu betonen, die Wies sei ein Kraftort, ein Ort der Ruhe und des Friedens, vor allem morgens und abends. Das gesamte Bildprogramm der Rokokokirche weise auf Jesus als "mitleidenden, mitweinenden Heiland" hin, so Fellner. Davon zeugt auch ein neuer Bildband, der zum Zimmermann-Gedenkjahr erschienen ist. Dort ist ein Satz zitiert, den vor langer Zeit jemand in ein Fenster des angrenzenden Prälatensaals auf lateinisch geritzt hat: "An diesem Ort wohnt das Glück, hier findet das Herz Ruhe."

Wenn draußen das Zwölfuhrläuten verklungen ist, scheppern in der Ferne die Kuhglocken weiter. Bruno Brilinski freut sich jetzt auf eine Stadtführung in Augsburg, Fumiyo Hato zieht es mit ihrem Enkel nach Neuschwanstein. Judith und Erwin Bahr haben sich lange in den Seitengängen der Wies aufgehalten, wo zahllose Bitt- und Dankzettel angebracht sind. Dann treten sie nach draußen, ein paar Schritte in der Sonne, Arm in Arm. Etwas essen wollen sie noch, dann geht es wieder nach Hause.


Quelle:
KNA