In Pakistan ist Ruth Pfau eine lebende Legende. Die deutsche Lepra-Ärztin lebt seit über 50 Jahren in der Hafenstadt Karatschi, wo sie 1960 als junge Medizinerin mit dem Schiff anlandete. Bereuen tut sie es nicht. Ob sie sich vielleicht lieber ein anderes Land ausgesucht hätte, fragten sie kürzlich pakistanische Journalisten. "Nein, wenn ich etwas an meinem Leben ändern könnte, dann wäre ich schon drei Jahre früher nach Pakistan gekommen", antwortete sie entschlossen.
Die kleine Frau mit den schlohweißen Haaren bewohnt ein bescheidenes Zimmer im zweiten Stock des Marie-Adelaide-Lepra-Krankenhauses in Karatschi, das sie aufgebaut hat. Ihre Wohnung erinnert ein wenig an Deutschland: Ein paar Esszimmerstühle im Biedermeierstil, ein kleiner Couch-Tisch und ein voll bepackter Schreibtisch. "Wenn sie arbeitet, dann kann sie einen bis 23 Uhr behelligen", sagt ihr Assistent Ali Haider über sie. Als das "Licht der Leprakranken" bezeichnete sie die Zeitung "Dawn".
Pfau wollte eigentlich nach Indien
Eigentlich war es purer Zufall, dass Pfau ins muslimische Pakistan kam. Die gebürtige Leipzigerin war als Mitglied des katholischen Ordens der Töchter vom Herzen Mariä auf dem Weg ins indische Mumbai (Bombay). Bei einem Zwischenstopp in der Hafenstadt Karatschi nahm sie eine Mitschwester mit in eine Lepra-Kolonie dort, in eine Bretterbude in einem Slum. "Es war so unbeschreiblich schrecklich, dass ich mich entschieden habe, hierzubleiben", sagt Pfau.
Es gab keine medizinische Behandlung. Die Kranken waren nicht gegen Verstümmelungen an ihren gefühllos gewordenen Gliedmaßen geschützt. "In der Nacht fraßen die Ratten buchstäblich die Hände und Füße der Patienten an", sagt Pfau. Sie begann mit der Versorgung der Kranken und baute ein Krankenhaus in der Innenstadt Karatschis auf.
Die pakistanische Regierung machte sie zur nationalen Beraterin für Lepra und Tuberkulose. 1996 erklärte die Weltgesundheitsorganisation Pakistan zum ersten Land in Südasien, das Lepra in den Griff bekommen hatte. Viele sehen das als Pfaus Verdienst an, die auch mit der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe in Würzburg zusammenarbeitete.
Im Einsatz bei Naturkatastrophen
Doch die Ordensfrau ist keine, die sich auf ihren Lorbeeren ausruht. Trotz ihres Alters ist sie jeden Tag von morgens bis abends auf den Beinen. Sie reist immer noch durch Pakistan und leistet Hilfe bei Katastrophen. Die Dürrewelle in Belutschistan 2000, das Erdbeben in Kaschmir 2005 und die Überschwemmung in großen Teilen Pakistans 2010, die Liste von Pfaus Hilfs-Missionen ist lang: "Sie wollen wissen, wo ich überall gewesen bin? Es wäre einfacher darüber zu reden, wo ich nicht gewesen bin."
Manche nennen die Ärztin daher die "Mutter Teresa Pakistans", was sie gar nicht mag: "Das ist eine Fehlbezeichnung." Pfau wehrt sich gegen den Vergleich mit der Nonne aus Albanien, die sich im indischen Kalkutta um die Armen kümmerte. "Wir sind sehr unterschiedlich, wie wir dem Elend entgegentreten", sagt Pfau. "Ich könnte gar nicht anders als zu fragen, woher das Elend kommt." Probleme müssten an der Wurzel angepackt werden.
Der Aachener katholische Bischof Heinrich Mussinghoff würdigte Pfau kürzlich bei der Verleihung des Klaus-Hemmerle-Preises als "Frau mit Verstand und Herz". Sie habe immer ganzheitlich gearbeitet und "sich auch um Probleme wie Hunger, Scheidung, Blutrache oder Schuldknechtschaft gekümmert".
Von den vielen Auszeichnungen und Preisen, die sie bekommt, macht Pfau nicht viel Aufheben. Ihre Arbeit ist ihr wichtiger, und es gibt für sie immer wieder neue Aufgaben. Ihr Assistent erzählt, dass Pfau in schlechten Zeiten schon einmal Preise verkaufte, um Geld für ihr Krankenhaus zu bekommen.
Es war der frühe Tod ihres schwer kranken kleinen Bruders, der in ihr den Wunsch geweckt hatte, Ärztin zu werden. Sie studierte in Mainz und Marburg und trat 1957 ihrem Orden bei. 1960 machte sie sich auf die Reise nach Pakistan - und blieb. Nach Deutschland will sie nicht zurück. "Meine Freunde und Bekannten sind alle hier", sagt sie.