DOMRADIO.DE: Ernst Albrecht war viele Jahre lang Ministerpräsident von Niedersachsen, Ursula von der Leyen ist seine Tochter. Die Familie Albrecht/von der Leyen hat ihren Wohnsitz in Burgdorf, dort ist sie auch kirchlich in Ihrer ehemaligen Gemeinde Sankt Pankratius in Burgdorf verwurzelt. Was ist das für eine Gemeinde?
Michael Schulze (Ehemaliger Pastor der Gemeinde Sankt Pankratius in Burgdorf bei Hannover): Das ist eine Gemeinde am Rande der Region Hannover. Sie ist von immer noch sehr dörflichen Strukturen geprägt. Wir haben acht Dörfer, die zur Kirchengemeinde gehören. Das ist eine Gemeinde, die sehr engagiert ist, sehr rührig, sehr viele Angebote für Jung bis Alt auf den Weg bringt.
In diesem Rahmen hat sich die Familie von der Leyen im Rahmen dessen, was möglich ist für jemanden, der politisch tätig ist, immer wieder eingebracht, zum Beispiel bei der Konfirmationen der Kinder.
DOMRADIO.DE: Sie waren dort 30 Jahre lang Pastor. Wie gut kennen Sie die von der Leyens? Und wie gut auch Ursula von der Leyen selbst?
Schulze: Da muss ich ein bisschen ausholen. Ich kenne die Familie Albrecht, also ihre Eltern, seit 1988, als die nach Burgdorf kamen und ihre Mutter Kirchenvorsteherin bei uns war. Ich habe Ursula von der Leyen dann Anfang der 1990er Jahre kennengelernt als sie wieder nach Deutschland zurückgekommen ist. Die erste Begegnung war, als sie mit ihrer Mutter zusammen beim Gemeindefest ein Kasperletheater aufgeführt hat.
DOMRADIO.DE: Tatsächlich?
Schulze: Das war Frau Albrechts Idee. Es fehlte beim Gemeindefest noch ein Höhepunkt für die Kinder. Da sagte sie, dass sie dann doch mit ihrer Tochter zusammen ein Kasperletheater aufführen könne. Das kam auch bei den Kindern und den Erwachsenen sehr gut an.
Die nächsten Begegnungen gab es etwas später, als ich vier ihrer sieben Kinder konfirmiert habe. Bei den Konfirmationen habe ich es immer so gehalten, dass ich beim Beicht- und Abendmahlsgottesdienst die Eltern gebeten habe, sich ein bisschen mit einzubringen. Denn ich erachte es für sinnvoll, dass man die Kinder nicht nur einfach zum Konfirmationsunterricht schickt, sondern dass man sich auch als Eltern engagiert und beteiligt und durch eigenes Zutun deutlich macht, warum es einem wichtig ist, dass die Kinder konfirmiert werden.
Da hat sich Frau von der Leyen bei mindestens zwei Konfirmationen sehr engagiert mit eingebracht. Bei der einen Konfirmation war es so, dass wir etwas zu den Zehn Geboten bei einer Freizeit mit den Jugendlichen erarbeitet hatten und das auch im Gottesdienst vorgeführt hatten. Dann hatten die Eltern die Idee, dass sie aus ihrer Sicht etwas zu den Zehn Geboten beitragen und dann haben sie diesen Abendmahlsgottesdienst mit eigenen Statements zu jedem der zehn Gebote gestaltet. Frau von der Leyen hat auch ein Gebot übernommen und dazu etwas präsentiert.
DOMRADIO.DE: Es ist ja schwierig, von außen über den Glauben eines anderen zu sprechen. Trotzdem die Frage: Welche Rolle spielt für Ursula von der Leyen ihre kirchliche Herkunft, ihr Glaube?
Schulze: Sie haben recht, das kann man von außen nicht beurteilen. Deswegen würde ich es auch tatsächlich auf die Begegnung, die ich mit ihr hatte, begrenzen.
Als ihr Vater an Demenz erkrankt war, haben wir mal intensiver überlegt, was man eigentlich in so einer Situation in Deutschland mit der Pflegeversicherung und so weiter tun kann. Das waren Berührungspunkte, wo man gemeinsam darüber nachgedacht hat, was vom christlichen Menschenbild her möglich ist, was ist sinnvoll, was man tun kann, dass Menschen auch mit Demenz weiterhin zur Gesellschaft, zur Gemeinde dazugehören und was es da an Angeboten geben kann.
Wir haben damals von unserer Diakonie-Station aus Betreuungsangebote gehabt, an denen auch Herr Albrecht teilgenommen hat. Bei den Begegnungen mit den Konfirmation-Eltern hat sich Ursula von der Leyen, wie gesagt, mit eigenen Worten eingebracht. Da macht man sich ein Stück weit mit dem erkennbar, was einen prägt und was einem wichtig ist.
Von Haus aus kann man sicherlich sagen, dass es eine Familie ist, die im christlichen Glauben evangelisch geprägt und stark verwurzelt ist. Der Vater hatte Kontakte zum Glaubenszentrum in der Heide, war da durchaus engagiert, natürlich immer im Rahmen dessen, was möglich ist, wenn man politisch relativ stark eingebunden ist und wenig Freizeit hat.
DOMRADIO.DE: Ursula von der Leyen ist siebenfache Mutter, sie ist schon lange Spitzenpolitikerin in unterschiedlichen Ämtern. Machen Sie da auch so etwas wie die sprichwörtliche protestantische Disziplin aus bei ihr?
Schulze: Ja, das würde ich sagen. Das ist sicherlich auch ganz stark vom Elternhaus geprägt. Das ist eine Familie, die es wichtig findet sich zu engagieren, die auch immer in der Gesellschaft engagiert ist, die zuverlässig, sehr standhaft, sehr organisiert, sehr kontrolliert ist und sehr pointiert formulieren kann. Das sind alles Fähigkeiten, die ganz stark im Protestantismus ihre Wurzel haben und auch im Alltäglichen erlebbar sind.
DOMRADIO.DE: In Brüssel wird Ursula von der Leyen nach ihrer Wiederwahl wohl ein noch schärferer Wind entgegen wehen als bisher schon. Was wünschen Sie ihr für dieses herausfordernde Amt in den nächsten fünf Jahren?
Schulze: Ich wünsche ihr auch weiterhin Standhaftigkeit, dass sie ihre Position und ihren Kompass bei allem, was man natürlich an Zugeständnissen nach links und rechts jeweils machen muss, wenn man keine ganz eigene Mehrheit hat, behält.
Sie hat die Richtung bei ihrer ersten Wahl schon damals mit Blick auf ihre eigenen Kinder formuliert, nämlich diesen Planeten zu schützen und dafür zu sorgen, dass die Klimaerwärmung sich nicht stärker auswirkt und dabei dennoch der Wirtschaftsstandort Europa nicht vor die Hunde geht. Das muss man natürlich abwägen, was gut und richtig für das politische Handeln ist.
Und ich wünsche ihr, dass es ihr mit guter Gelassenheit und Humor gelingt, in Europa so zu wirken, wie sie in Deutschland gewirkt hat und wie sie einfach aufgrund ihrer Persönlichkeit auch wirken kann. Dazu wünsche ich ihr alles Gute und Gottes Segen.
Ich habe auch schon Glückwünsche durch eine gemeinsame Bekannte in Brüssel übermittelt.
Das Interview führte Carsten Döpp.